Schilys Äußerungen werden tief gehängt

Die Aufregung um ein Interview von SPD-Innenminister Otto Schily zur Zuwanderung wird von den Grünen zurückhaltend bewertet. Ein Einwanderungsgesetz steht bei ihnen nicht auf der Tagesordnung  ■ Von Severin Weiland

Berlin (taz) – Cem Özdemir kann die Aufregung wahrlich nicht verstehen. Mit seiner Bemerkung zur Zuwanderung habe SPD-Bundesinnenminister Otto Schily „wohl nur sein Image als Law-and- order-Mann festigen wollen“. Schließlich werden „nicht alle an der SPD-Basis über das neue liberale Staatsbürgerschaftsrecht hurra schreien“, glaubt der innenpolitische Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Auch der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch tadelte Schily in einem Interview eher mit weichen Worten. Er könne dessen Äußerungen „nicht nachvollziehen, weder den Zeitpunkt noch die Wortwahl“.

Ein aufgebauschter Streit? Dafür spricht einiges. Was Schily am Wochenende gegenüber dem Berliner Tagesspiegel in einem Interview erläuterte, weicht höchstens in der Formulierung, nicht aber inhaltlich von SPD-Positionen zur Einwanderung ab. Auf die Frage, ob Zuwanderung nicht gesteuert werden könne, hatte er erklärt: „Es spricht überhaupt nichts dagegen. Das ist aber keine Frage, die aktuelle Bedeutung hat. Selbst wenn wir heute ein Zuwanderungsgesetz hätten, müßte eine Zuwanderungskommission die Zuwanderungsquote auf null setzen.“ Was einige Agenturen anschließend zum Streit hochschrieben, war seine Bemerkung, die „Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten“. Die Steuerung von Zuwanderung, so Schily jedoch abschließend und dämpfend, werde irgendwann wieder ein Thema sein, müsse aber im europäischen Rahmen gelöst werden.

Erst im November 1995 hatte der SPD-Bundesparteitag in Mannheim die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz verabschiedet. Knapp ein halbes Jahr später wurde ein sogenanntes Eckwertepapier für ein Zuwanderungsgesetz von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegt. Danach sollte die damalige Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates jährliche Höchstgrenzen bestimmen. Von der Höchstgrenze sollte aber die Zahl der politisch Verfolgten, der nachziehenden Familienanghörigen, Asylberechtigten sowie Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge abgezogen werden. Nichts anderes meint Bundesinnnenminister Schily, wenn er jetzt davon spricht, die Zuwanderungsquote könnte durch ein entsprechendes Gesetz auf null gedrückt werden.

Die heutige Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast, hatte 1996 zudem erklärt, ein Zuwanderungsgesetz könne nur dann neue Chancen für Ausländer eröffnen, wenn die Asylbewerber- und Aussiedlerzahlen zurückgingen. Mit einem Einwanderungsgesetz solle „auf keinen Fall“, so die SPD-Politikerin damals, ein „zusätzliches Tor“ für „Einwanderungswillige“ eröffnet werden. Auch ihre heutige Vorgesetzte, Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, hatte sich 1995 ähnlich geäußert. Einwanderung müsse im „europäischen Rahmen“ gelöst werden – identisch formulierte es Schily am Wochenende.

Wie schwer sich die SPD mit dem Einwanderungsgesetz tut, zeigten die rot-grüne Koalitionsverhandlungen. Die Vorstellungen, so Özdemir, hätten „so weit auseinandergelegen, daß wir besser keines machen wollten, bevor wir ein schlechtes machen“. Schon bei Formulierungsvorschlägen gab es Dissens. Im Koalitionsvertrag taucht daher der Begriff Einwanderung gar nicht auf. Beide Parteien, heißt es dort, „erkennen an, daß ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozeß in der Vergangenheit stattgefunden hat (...)“. Man setze daher auf die Integration „der auf Dauer bei uns lebenden Zuwanderer“.

Bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete, darunter Özdemir, hatten vor zwei Jahren ebenfalls ein Tabu ihrer Partei gebrochen, als sie sich für Zuwanderungsquoten aussprachen. Danach sollte die Zahl der Einwanderer zunächst der Quote der Spätaussiedler entsprechen (1996 rund 220.000), ab dem Jahr 2002 das Sonderrecht für deutsche Spätaussiedler durch einheitliche Kriterien für alle Einwanderer abgelöst werden. Pläne für ein Einwanderungsgesetz haben die Bündnisgrünen derzeit zurückgestellt. Betont vorsichtig äußerte sich gestern Özdemir zur taz: „Wenn der Bundestag das neue Staatsbürgerschaftsrecht verabschiedet, ist es vorstellbar, daß wir nochmals an ein Einwanderungsgesetz herangehen.“