Mit einem verzweifelten Kraftakt will die japanische Regierung die Wirtschaft auf Wachstumskurs bringen. Von zusätzlichen öffentlichen Ausgaben und Steuererleichterungen versprechen sich die Wirtschaftsplaner eine Belebung der schwachen Konjunktur Aus Tokio André Kunz

Wachstum auf Teufel komm raus

Japan will mit dem größten Konjunkturprogramm aller Zeiten seine Wirtschaft aus der Krise führen. Die öffentlichen Gelder, die die Regierung in Tokio jetzt in ihre rezessionsgeplagte Wirtschaft pumpt, stellen sämtliche Hilfspakete des Internationalen Währungsfonds (IWF) in den Schatten. Fast doppelt soviel, wie der IWF in diesem Jahr an krisengeschüttelte Länder vergab, will Tokio mit dem gestern veröffentlichten Konjunkturpaket in der Höhe von 24 Billionen Yen (rund 330 Milliarden Mark) für die Erholung seiner Konjunktur ausgeben. „Wir müssen alles tun, um den Teufelskreis der Rezession zu durchbrechen“, begründete Premier Keizo Obuchi das Mammutpaket, das Ende des Monats dem Parlament zum Beschluß vorgelegt werden soll. Wirtschaftsfachleute und Finanzmärkte konnte der Premier mit den astronomischen Summen nicht beeindrucken. Der Nikkei- Index legte nur um gut 1 Prozent auf 14.428 Punkte zu. Gar keine Auswirkungen hatte das Paket auf den Kurs der japanischen Währung. „Es sieht nach sehr wenig Netto-Stimulierung aus“, sagte Peter Morgan, Wirtschaftsexperte bei HSBC Securities in Tokio. Die verhaltene Reaktion auf das neue Konjunkturförderungsprogramm ist verständlich. Seit 1992 hat Tokio nicht weniger als 1.124 Milliarden Mark ohne Erfolg in die kränkelnde Wirtschaft gesteckt.

Optimistischer gab sich Taichi Sakaiya, Chef des Wirtschaftplanungsamtes EPA. Er geht davon aus, daß mit den zusätzlichen öffentlichen Ausgaben und Steuererleichterungen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im kommenden Fiskaljahr um mindestens 2,3 oder gar um 3 Prozent zunimmt. In diesem Fiskaljahr (bis Ende März 1999) wird das BIP voraussichtlich um mehr als 2 Prozent schrumpfen, obwohl die Regierung die Konjunktur bereits seit dem Frühjahr mit einem Ankurbelungspaket von 16 Billionen Yen (rund 220 Milliarden Mark) stützt.

Das laufende Konjunkturprogramm verpuffte, weil ein Budgetgesetz, das eine drastische Reduzierung des Haushaltsdefizits verlangt, der japanischen Regierung bisher die Hände band. Das Gesetz, das einen ausgeglichenen Haushalt bis zum Jahre 2005 anvisierte, soll nun auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden.

Neu an diesem Paket sind Maßnahmen zur Belebung des Arbeitsmarktes, für die Tokio umgerechnet rund 14 Millarden Mark bereitstellen will. Demnach sollen ältere Arbeitnehmer umgeschult und Arbeitslosengelder länger ausgezahlt werden. Außerdem will die Regierung in den kommenden Jahren eine Million neue Arbeitsplätze schaffen. Spitzenverdiener und Unternehmen werden von einer substantiellen Steuererleichterung profitieren. Der Spitzensatz soll von 65 auf 50 Prozent bei Einkommenssteuern und von 46 auf 40 Prozent für Unternehmenssteuern gesenkt werden. Diese Steuergeschenke sollen Unternehmer und Großverdiener animieren, ihr Geld für neue Kapitalinvestitionen auszugeben.

Weniger als Konsumanreiz denn als soziale Geste wird das Verteilen von Einkaufsgutscheinen für Familien mit Kindern unter 15 Jahren und Leuten über 65 Jahren aufgefaßt. Diese politisch motivierte Aktion kostet die öffentliche Hand nur gerade 9,6 Milliarden Mark und wird in der Bevölkerung als eher lächerliche Zugabe kritisiert.

Für zusätzliche öffentliche Infrastrukturausgaben werden 110 Milliarden Mark bereitgestellt. Das sind nur etwa 10 Prozent mehr, als schon in diesem Jahr für Infrastruktur extra ausgegeben wurde. Anders als bisher sollen diese Gelder aber der Stadtbevölkerung zugute kommen und nicht in Tunneln und Brücken verbetoniert werden. Mit „Blick auf das 21. Jahrhundert“ sollen die Milliarden in Informationstechnologie, Umweltprojekte, soziale Programme und die Bildung investiert werden. Konkrete Projekte liegen aber noch nicht vor.

Mit Blick auf die Asienkrise will Tokio 14 Milliarden Mark Finanzhilfe für die süd- und südostasiatischen Nachbarn bereitstellen. Ganz uneigennützig denkt Japan dabei nicht: Die Gelder sollen vor allem an japanische Tochterfirmen gehen, die in der krisengeschüttelten Region operieren.