Ex-Reemtsma-Institut an Bremer Uni

■ Hamburger „Stiftung für Sozialgeschichte“ kommt an die Weser / Wissenschaftler stellen wertvolles Archiv zur Sozialhistorie, die Uni bietet entsprechende Arbeitsmöglichkeiten

Die renommierte Hamburger „Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts“ zieht nach Bremen. Die Forschungsinstitution unter der Leitung des Wissenschaftler-Paars Karl-Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus ist ein alter Ableger des „Instituts für Sozialforschung“ von Jan Phillip Reemtsma, das im vergangenen Jahr Schlagzeilen mit der höchst umstrittenen Wehrmachtsausstellung gemacht hatte. Nicht weniger streitbar sind aber auch die Forschungsinhalte der Stiftung für Sozialgeschichte. Sie wird künftig an der Bremer Universität untergebracht.

Leiter Roth hat unter anderem die Verflechtungen von Deutscher Bank und Daimler-Benz mit den Nazis untersucht. Er selbst schrieb dabei den Konzernen ins Stammbuch, daß im Gegensatz zu Hausdarstellungen vor allem Daimler zu den wichtigsten Förderern der deutschen Faschisten gehörte und just in dieser Phase – von 1933 bis 1945 – riesige Gewinne auf Kosten der Zwangsarbeiter eingefahren habe. In Zusammenarbeit mit dem in dieser Sache höchst engagierten Professor Klaus Dörner von der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Neurologie ist es der Stiftung für Sozialgeschichte zu verdanken, daß 1996 ein Fonds eingerichtet wurde, um erstmals die Prozeßakten der Nürnberger Ärzteprozesse auf deutsch zu veröffentlichen. „Die Dokumente sind für die medizinisch-ethische Diskussion von unschätzbarem Wert“, kommentierten Dörner und Roth, der selbst Mediziner ist. Weitere Untersuchungen etwa zum Thema Sozialgesetze im Dienste der Industrie haben 1992 einen wahren Historikerstreit über die Mystifizierung der Sozialgeschichte entfacht.

Eben wegen dieser oft streitbaren Forschungsinhalte seines streitbaren Leiters hatte sich die Stiftung nach Angaben von Insidern auch von dem bekannten Reemtsma-Institut abgespalten. Es wird berichtet, daß sich Roth und Ebbinghaus Anfang der 90er Jahre mit Reemtsma überworfen und sich selbständig gemacht haben. Aber eben jene Abspaltung führte auch dazu, daß die Stiftung offenbar stets Finanz-probleme hatte. Einige dieser materiellen Probleme werden in Bremen jetzt abgefedert. Dort wird die Ex-Hamburger Stiftung zur Zeit im GW2 angesiedelt, bestätigt Hans-Josef Steinberg, Leiter des hiesigen „Instituts für Regional- und Sozialgeschichte“ an der Universität Bremen. Nach Angaben von Steinberg werden dadurch zwar keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. „Aber das vollständige Archiv der Stiftung wird hier an der Uni Bremen untergebracht.“Das sind äußerst seltene Akten und andere Quellen zur deutschen Sozialgeschichte“, schwärmt er.

Die Anbindung an die Uni Bremen erfolgt im Gegenzug für die Unterbringung und entsprechende „qualifizierte“ Arbeitsmöglichkeiten, wie etwa Räumlichkeiten, die zur Verfügung gestellt werden. Konkrete Geldmittel fließen laut Steinberg nicht.

Von den Beteiligten selbst waren gestern keine konkreten Stellungnahmen zu erhalten. Zur Zeit ist man damit beschäftigt, das Archiv nach Bremen zu überführen. Bevor dies nicht endgültig angeschlossen sei, wolle man nicht an die Öffentlichkeit gehen, hieß es. Darum war auch kein Kommentar zu der prominenten Ansiedlung aus der Bremer Wissenschaftsbehörde zu erhalten. „Wir wollen denen nicht in die Parade fahren“, sagte Rainer Gausepohl, Sprecher von Wissenschaftssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD). Jeti/ede