Umweltverwaltung rechnet Straßenlärm leise

■ Vorwurf von Initiative: Verwaltung nutzt vor Gericht ungenaue Werte zu ihren Gunsten

Die Initiative „Rechtsschutz gegen Luftschmutz“ wirft der Umweltverwaltung vor, bei Prozessen wegen zu hohen Verkehrslärms mit ungenauen Meßwerten gearbeitet zu haben. Die Lärmwerte auf den Hauptverkehrsstraßen Berlins würden generell zu niedrig angesetzt, lautet die Kritik.

Bei ihren Berechnungen richtet sich die Umweltverwaltung nach der „Richtlinie für Lärmschutz an Straßen“ (RLS-90). Darin wird der Nachtverkehr mit rund 8,5 Prozent des durchschnittlichen Tagesverkehrs angesetzt, entsprechend wird die Lärmbelastung ausgerechnet. In reinen Wohnstraßen etwa darf der Nachtverkehr den Lärm von 60 Dezibel nicht überschreiten. Wenn von einer Straße keine konkreten Zahlen vorlägen, erläuterte Klaus Kutzner von der Umweltverwaltung, „bemühen wir uns, die RLS-90 ohne Abweichungen anzuwenden“.

Genau das wirft die Initiative der Verwaltung jedoch vor. Sie weist darauf hin, daß der Nachtverkehr auf Berliner Straßen wesentlich höher ist. Die Umweltverwaltung selbst habe in einer sehr genauen Verkehrszählung 1993 festgestellt, daß der Nachtverkehr 15 bis 25 Prozent des Tagesverkehrs entspreche, also doppelt bis dreifach so hoch ist wie nach der RLS-90. Diese Zählung – unter anderem in der Schloß-, der Brücken- und der Lahnstraße – sei auch auf andere Straßen in Berlin übertragbar, sagte der Physiker Andreas Subaric-Leitis. Die angesetzten Werte der Verwaltung stellten eine „erhebliche Unterschätzung“ des Verkehrslärms dar.

Auch das Verwaltungsgericht hat sich bei den bisherigen Verfahren der Auffassung der Initiative angeschlossen. Der Klage einer Anwohnerin der Adalbertstraße in Kreuzberg wurde unter anderem stattgegeben, weil das Land „ohne Prüfung des Einzelfalls ... pauschal die Ablehnung (des Antrags auf Lärmminderung) verfügte“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Behörde habe nicht erkennen lassen, daß sie ernsthaft im Sinne der Anwohnerin Maßnahmen gegen den Lärm habe ergreifen wollen.

Darüber hinaus kritisiert die Initiative, daß das Land den zusätzlichen Lärm an Ampeln in ihren Berechnungen nicht berücksichtigt habe. Durch das Abbremsen und Anfahren der Autos und Lastwagen an Ampeln entsteht Lärm, der sich zwischen ein und drei Dezibel bewegt. Drei Dezibel entsprechen einer Verdoppelung des Lärmaufkommens. Bei der Klage eines Anwohners der Schildhornstraße sei der „Ampelzuschlag“ nicht berücksichtigt worden, sagte Subaric. Nach seiner Aussage will die Umweltverwaltung weiterhin darauf verzichten. Klaus Kutzner von der Umweltverwaltung wies den Vorwurf zurück: der „Ampelzuschlag“ werde stets eingerechnet.

22 Klagen gegen Lärm- und Rußbelastung hat die Initiative seit 1992 gesammelt. Bislang ergingen 13 Urteile – jedes Mal gewannen die Kläger. Das Land hat jedoch gegen alle Urteile Berufung eingelegt. Heute finden die ersten Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht statt. Die Initiative hofft, auch die zweite Runde zu gewinnen. Jutta Wagemann