■ Gerhard Schröder hat bei seinen Gesprächen mit den politischen Erben Boris Jelzins unmißverständlich klargemacht, daß Rußland sein Haus selbst in Ordnung bringen müsse. Ohne konkrete Sanierungskonzepte gebe es keine Finanzhilfen
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Gerhard Schröder hat bei seinen Gesprächen mit den politischen Erben Boris Jelzins unmißverständlich klargemacht, daß Rußland sein Haus selbst in Ordnung bringen müsse. Ohne konkrete Sanierungskonzepte gebe es keine Finanzhilfen

Geld allein macht nicht glücklich

Rußlands Ministerpräsident Jewgeni Primakow ist ein höflicher Mann. „Morgen findet das wichtigste Ereignis statt“, sagt der Politiker, der de facto längst die Staatsgeschäfte führt, am Montag in Moskau nach seinem Gespräch mit dem deutschen Bundeskanzler und meint dessen Treffen mit Präsident Boris Jelzin. Auch der Gast aus Bonn ist höflich. Artig betont Gerhard Schröder, daß er sich auf die Begegnung mit Boris Jelzin freue — und kommt dann noch im selben Satz zur Sache: „Unabhängig davon“ sollten die deutsch-russischen Beziehungen auf eine „sehr, sehr breite Grundlage“ gestellt werden.

Die Äußerung unterstreicht nur, was ohnehin nicht zu übersehen ist: Die Ära Jelzin ist vorbei. Die seltenen öffentlichen Auftritte des schwerkranken Präsidenten rufen bei Beobachtern Erinnerungen an das Ende der Amtszeit von KP-Chef Leonid Breschnew wach. Wie dieser wirkt Jelzin auf Augenzeugen wächsern, gleichsam erstarrt und kann sich nur noch mühsam fortbewegen.

Vor diesem Hintergrund geraten selbst harmlose Floskeln zur doppelbödigen Peinlichkeit. „Ich hoffe, daß wir in dem Tempo, in dem wir hier zusammengekommen sind, gemeinsam ins nächste Jahrhundert gehen“, meint der Präsident an die deutsche Delegation gewandt. Da schauen einige betreten vor sich hin. Vor der Presse erklärt Schröder später dennoch, er habe „einen gut informierten und aktiven Präsidenten vorgefunden“. Diplomatensprache hilft eben gelegentlich auch über schwierige Klippen hinweg.

„Die Beziehungen von Völkern müssen unabhängig von Regierungen sein“, hat der deutsche Bundeskanzler gleich nach seiner Ankunft in Moskau betont. Genau das sind sie nun allerdings nicht, und der Verlauf von Gerhard Schröders Antrittsbesuch in Moskau ist dafür der beste Beweis. Mit freundlichem Lächeln beginnt der sozialdemokratische Regierungschef dort eine neue Politik. Das dürfen ruhig alle merken. Der Kanzler und seine Begleiter helfen mit unmißverständlichen Sätzen und Gesten gerne nach.

Raus aus der Sauna, in der einst Jelzin und Kohl deutsch-russische Beziehungspflege betrieben. Statt dessen rein in die Bibliothek. Am Rande eines Empfangs in der Residenz des deutschen Botschafters werden führende russische Politiker einzeln in den kleinen getäfelten Raum zum Gespräch mit Gerhard Schröder gebeten: der einflußreiche Jabloko-Parteichef Grigori Jawlinski, Kommunistenführer Gennadi Sjuganow und Gouverneur Alexander Lebed, der weiter um die Macht in Moskau kämpfen will.

Nur jeweils ein paar Minuten dauern die Unterredungen vor dem flackernden Kamin. Aber die Kameras laufen mit, wenn sich die Türen zur Bibliothek öffnen. Das Signal ist bei diesen ersten Begegnungen noch wichtiger als der Inhalt der Gespräche. Es ist die Stunde derjenigen, die auch nach der Ära Jelzin noch eine Rolle spielen werden in Rußland. Aber selbstverständlich sind Leute aus dem Umfeld des Präsidenten zum Empfang gebeten. Was Jelzin wohl jetzt gerade in diesem Augenblick tue, sinnieren deutsche Gäste. „Ich hoffe, er ruht sich aus“, lautet die lakonische Antwort eines Mitarbeiters der Präsidentenkanzlei. Es ist gerade Viertel nach acht.

Die Zukunft von Gerhard Schröder hat erst begonnen. Es wäre nicht klug, es sich jetzt mit dem Mann zu verderben, mit dem von nun an in Deutschland gerechnet werden muß. So machen denn alle gute Miene zu einem Spiel, das manche wohl auch mit Sorge betrachten. Es handele sich schließlich um einen Arbeitsbesuch, nicht um einen Staatsbesuch, wird von russischer Seite betont. Deshalb sei es auch völlig in Ordnung, daß Schröder keinen Kranz am Denkmal des Unbekannten Soldaten niedergelegt und die Begegnung mit Jelzin erst am zweiten Tag stattgefunden habe. Nur ganz beiläufig wird erwähnt, daß man natürlich auch anderslautende Wünsche der Deutschen gerne berücksichtigt hätte, wären sie denn geäußert worden.

Sie wurden nicht geäußert. Gerhard Schröder läßt in Moskau überraschend wenig Zweifel daran, was für eine Politik er verfolgen will. Daß Martkwirtschaft auf die Dauer nicht ohne Demokratie funktionieren könne, hat er auch früher schon gesagt. Jetzt findet er in Moskau bei einigen Gesprächspartnern dafür viel Zustimmung. KP-Chef Sjuganow bezeichnet die Schaffung von „Rechtssicherheit“ als eine der vordringlichsten Aufgaben. Grigori Jawlinski will von Deutschland kein Geld, sondern Hilfe beim Aufbau neuer Strukturen, beispielsweise im Gerichtswesen. Er meint sogar, daß Geldspritzen ohne ausreichende Unterstützung beim Aufbau demokratischer Strukturen die „Katastrophe“ überhaupt erst herbeigeführt hätten.

Das dürfte Schröder gerne hören, denn derzeit will er Rußland ohnehin keine finanziellen Zusagen machen. „Im nationalen Maßstab sind die Möglichkeiten, die Deutschland hat, ausgeschöpft“, betont der Kanzler. Die Europäische Union müsse sich auf eine gemeinsame Linie verständigen. Schon vor Schröders Abreise war in Bonn außerdem betont worden, daß Moskau vor allem ein solides, durchgerechnetes Wirtschaftskonzept entwickeln müsse.

Damit hat die russische Regierung nun immerhin begonnen. Für den Internationalen Währungsfonds (IWF) ist jetzt ein entsprechendes Papier erarbeitet worden, das auch den Gästen aus Bonn gezeigt wurde. Es zeige immerhin den guten Willen, enthalte aber auch noch manche Ungereimtheiten, war dazu aus den Reihen der deutschen Delegation zu hören. Viel Zeit zum Nachbessern bleibt Moskau nicht. Am Samstag ist das 90tägige russische Schuldenmoratorium abgelaufen. Jetzt wird eine neue Bankenkrise befürchtet. Rußland braucht dringend die zweite Tranche des ausgehandelten IWF-Darlehens in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar, die eigentlich in diesen Tagen fällig wäre. Außerdem hofft die Regierung noch in anderer Hinsicht auf Entgegenkommen des Westens: Sie wünscht sich endlich einen „Schnitt“ bei den sowjetischen Altschulden.

Ob die Wünsche erfüllt werden, steht dahin. Die russische Regierung scheint jedenfalls in ihrer prekären Situation nach jedem nur denkbaren Rettungsanker greifen zu wollen. „Geradezu euphorisch“ sei Ministerpräsident Primakow gewesen, als Schröder betont habe, daß in den Beziehungen auch Gefühle eine Rolle spielen müßten, erzählt ein Teilnehmer der Begegnung: „Als sei ein Lichtschalter angeknipst worden“. Bettina Gaus, Moskau