"Wir brauchen radikale Umsteuerung"

■ Um die Krankenhäuser aus der Krise zu führen, fordert Ärztekammerpräsident Ellis Huber ein neues Klinik-Management, das auf Vertrauen statt Kontrolle, auf die Verzahnung mit ambulanter Medizin und die Ü

taz: Herr Huber, die Berliner Krankenhäuser sind in der Krise. Wo liegen die Ursachen?

Ellis Huber: In der Führungsebene der Krankenhäuser, der Gesundheitspolitik und der Krankenkassen kümmert man sich nicht um das Wesentliche. Krankenhäuser sind dazu da, um kranken Menschen eine effiziente und effektive Hilfe zu geben. Doch in den Berliner Kliniken wird das Personal ausgedünnt, das die Patienten auf der Station versorgt, und gleichzeitig wird die Kontrollbürokratie zwischen Krankenkassen und Krankenhausträgern, zwischen Politik und Krankenhausleitung immer komplizierter und aufgeblähter. Die Gewalt des Systems erstickt Qualität und Menschlichkeit in der Patientenversorgung.

Ist zuviel Verwaltung also das Hauptproblem?

Die Verwaltung ist zu groß, die Abstimmungsprozesse zwischen unten und oben funktionieren nicht, die Hierarchien sind zu steil. Aber auch das Finanzierungssystem ist katastrophal. Es bestraft erfolgreiche Krankenhäuser, die zum Beispiel nur wirklich notwendige Operationen durchführen. Und es sorgt dafür, daß Krankenhäuser gut bei Kasse sind, die Risikoselektion betreiben, sich also auf lukrative Angebote konzentrieren, die so nicht nötig wären. Wir brauchen ein Finanzierungssystem, das klar definierte ärztliche und pflegerische Leistungen honoriert. Die Trennung zwischen der Indikationsmacht, die bei den Ärzten liegt, und der Finanzierungsverantwortung, die bei den Kassen liegt, ist die Erbsünde des Gesundheitssystems. Dadurch verlieren wir die Produktivität.

Die Kassen haben aber auch eine Kontrollfunktion.

Wir müssen weg von diesem Management des Mißtrauens. Man weiß schon lange, daß ein Management des Vertrauens sehr viel effektiver ist. Man sollte den fachkundigen Menschen, die direkt am Patienten arbeiten, vertrauen und bürokratische Regularien weitgehend einsparen. Dann würde das vorhandene Geld vernünftig eingesetzt. Gleichzeitig muß die Abstimmung zwischen Kassen und Krankenhausträgern auf eine neue Basis gestellt werden, die auf Kooperation statt auf Konfrontation setzt. Wir brauchen also eine radikale Umsteuerung des gesamten Gesundheitssystems.

Wie würden Sie eine solche Umsteuerung angehen, wenn Sie Gesundheitssenator wären?

Ich würde eine Gesellschaft für neue Gesundheit als GmbH gründen mit den Gesellschaftern Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Krankenkassen, Ärzteschaft und Senat und sie mit der Entwicklung des Berliner Gesundheitssystems beauftragen. Damit schaffe ich eine gemeinsame Steuerungsinstanz, die das Management in den Krankenhäusern qualifizieren und die Versorgungsprozesse optimieren und vernetzen kann. Die Krankenhäuser würden verpflichtet, 20 Prozent geringere Ressourceneinsätze für die gesetzliche Krankenversicherung zu organisieren, damit diese um eine Milliarde Mark entlastet wird. Das heißt aber nicht, daß die Krankenhäuser in dieser Größenordnung eingestampft werden müssen. Man kann sie für Patienten von außerhalb Berlins attraktiver machen. Gleichzeitig bekämen die Kliniken völlige Freiheiten für ihre eigene Entwicklung, das würde zu Qualitätssteigerung und Innovation führen.

Die Stimmung in den Krankenhäusern scheint aber im Moment eher in Richtung Besitzstandswahrung als in Richtung radikale Reformen zu gehen.

Modernes Veränderungsmanagement nimmt den Betroffenen die Angst, existentiell bedroht zu sein. Das heißt, man muß eine Beschäftigungsgarantie für alle heute Beschäftigten aussprechen und ihnen gleichzeitig ein höheres Maß an Flexibilität und Veränderungsbereitschaft abverlangen.

Wie soll das finanziert werden?

Ein radikaler Umwandlungsprozeß ist nur möglich, wenn kontinuierlich etwa zehn Prozent der Belegschaft auf neue Aufgaben vorbereitet werden. Diese Qualifizierung und Personalentwicklung ist mit dem Geld zu finanzieren, das jetzt für die Abwicklung vorgesehen ist. Neue Gesundheitssysteme sind ein Produkt, für das es weltweit eine Nachfrage gibt.

Wie sollten sich die Krankenhäuser konkret verändern?

Die Krankenhäuser müssen sich öffnen, ambulante und stationäre Versorgung, Rehabilitation und Gesundheitsförderung auf völlig neue Weise miteinander verbinden. Das ist besser für den Patienten und zudem kostengünstiger. Das Krankenhaus von morgen hat keine Abteilungen mehr, sondern diagnostische Teams, die in einer Aufnahmestation gemeinsam überlegen, welches Problem der Patient hat und wie und wo dieses Problem am besten gelöst werden kann. Das Krankenhaus wird zum Ort, wo auch Platz für ehrenamtliche Dienste und Selbsthilfe ist, wo die Gemeinde ihre Gesundheitsbelange diskutiert und dafür sorgt, daß sich der Stadtteil möglichst gesundheitsfördernd entwickelt.

Das hört sich an, als wäre dieses Krankenhaus Lichtjahre entfernt von der Berliner Realität. Gibt es bereits Ansätze?

Ja, und zwar überall. Die Dermatologie im Krankenhaus Spandau bringt seit Jahren die Vernetzung von ambulant und stationär voran. Im Auguste-Viktoria-Krankenhaus gibt es im Bereich der Aidshilfe eine neue Verknüpfung von ehrenamtlichen Potentialen und stationärer Arbeit. Im Urban- Krankenhaus gibt es diese enge Verzahnung von sozialer Hilfe und Medizin, im Neuköllner Krankenhaus Hospizarbeit und die menschliche Betreuung sterbender Patienten. Das Krankenhaus Moabit betreut seit langem Krebspatienten psychosozial, das ist eine Versorgungsqualität, die es vorher nirgendwo in Deutschland gab. Jedes Krankenhaus besitzt seine Innovationsperle.

Gibt es auch Beispiele für die Aufweichung starrer Abteilungsgrenzen?

Die richtig radikale Neuerung eines ganzen Krankenhauses gibt es in Berlin noch nicht, auch wenn zum Beispiel im Urban-Krankenhaus weitgehende konzeptionelle Ansätze vorliegen. Sehr weit ist das anthroposophische Krankenhaus Havelhöhe, das der psychosozialen Heilkunst große Bedeutung beimißt. Aber dieser Schritt ist nicht leicht: Um Abteilungsgrenzen zu überwinden, braucht man Chefärzte, die sich nicht mehr vor der Konkurrenz der Kollegen schützen müssen, sondern teamfähig sind.

Viele der Chefärzte werden radikale Veränderungen, wie Sie sie fordern, nicht freiwillig mittragen, schließlich haben sie einiges zu verlieren. Was würden Sie also mit Blick auf die Chefärzte tun?

Mit disziplinarischem Druck nachhelfen und notfalls kündigen.

Halten Sie all das für durchsetzbar?

Eine solche Umsteuerung, die ja eine Veränderung in den Köpfen voraussetzt, geht nur, wenn es bei den Krankenkassen, der Ärzteschaft und der Politik den gemeinsamen Willen zur Modernisierung im Gesundheitswesen gibt. An diesem Willen fehlt es. Noch überwiegen rivalisierende Machtkämpfe und Pfründenkonkurrenzen. Das muß aber nicht so bleiben. Interview: Sabine am Orde