■ Normalzeit
: "Politik wirksam machen..."

Die SPD hat seit 1918 stets eine Doppelstrategie verfolgt: Einerseits mobilisierte sie die Arbeiter, andererseits ließ sie sie niederknüppeln. Noch in den achtziger Jahren erboste sich der Juso-Aktivist Olaf Dinné – nach den „Krawallen um eine Rekrutenvereidigung“ im Weserstadion –: „Da rief am 6. Mai der eine Senator beim DGB in Hannover an: ,Schickt mehr Demonstranten, damit hier auch wirklich Power ist!‘ Und am gleichen Tag rief ein anderer Senator dort an: ,Schickt mehr Polizisten, hier wird es Zoff geben!‘“

In Westberlin sind die doppelstrategischen Koordinaten der SPD verschoben: Der „linke Landesvorständler“ Benneter kämpft z.B. mit dem „rechten Stellvertreter“ Borghorst bei der Privatisierung der Stadt-Eigenbetriebe gegen die Finanzsenatorin Fugmann- Heesing. Sie steht den grünen Intellektuellen näher als der Parteibasis. „Euch geht es doch bloß um die Arbeitsplätze“, mußten sich die ersteren bereits von ihr sagen lassen. Eine Funktionärin bezeichnete die Partei nach dem letzten Sonderparteitag als „regelrecht gespalten“: in Modernisierer und Besitzstandswahrer. Wobei letztere die Basis, d.h. die Wähler hinter sich hätten, erstere dagegen Teile der Öffentlichkeit und die Grünen.

In der Tat hat die SPD die Stadtbetriebe stets besonders üppig „bedacht“ – so daß sich z.B. die SPD- Gruppe bei der Bewag schon vor Jahren als überflüssig auflöste. Erst jetzt, nach der Privatisierung, gründete sie sich neu. Vor dem Privatisierungsparteitag demonstrierten 2.000 ÖTV-Mitglieder gegen weitere „Staatsverschlankungen“. Als Parteichef Böger ihnen versprach: „Die CDU-Koalition in Bonn ist am Ende“, antworteten sie: „Ihr auch!“

Jetzt, nach dem Sieg von Schröder, haben jedoch die „Modernisierer“ wieder Auftrieb bekommen. Schröder – ebenso wie Momper – gehören zur „Zeitgeistfraktion“ der SPD, die laut dem SPD- MdB Wartenberg einen autoritären Führungsstil pflegen, die Partei als Klotz am Bein empfinden und ihre Politik mit Vorliebe über die Medien „steuern“. Momper hatte sich – als rot-grüner Bürgermeister während der Wende – zu einem wahren „Kommunikationsgenie“ gemausert, wie sein Sprecher Kohlhoff das nannte – dies jedoch weder gegenüber seiner Partei noch gegenüber den Grünen, die seine „Selbstherrlichkeit“ kritisierten. Dementsprechend vermißte er nach seiner Abwahl „die Möglichkeiten zur Selbstdarstellung“. Momper ist jetzt Chef einer Baubetreuungs-GmbH, wobei er seine früheren Politikkontakte nutzt. Grad dieses Engagement in der Baubranche, die in Westberlin traditionell zur Korruption neigt, nimmt ihm die Parteibasis übel.

Deren utopisches Wollen beschränkt sich bislang jedoch – bei Betriebsrätetreffen etwa – darauf, den gemütlichen Zeiten von vor 1989 nachzutrauern. Es gibt – z.B. im Ruhrgebiet – etliche Stadtbetriebe, die derart umgemanagt wurden, daß nun die private Konkurrenz jammert. Für die bislang vom Schicksal begünstigten Berliner Betriebe fordert Momper jedoch: „Druck, damit die sich konkurrenzfähig machen“. D.h., es müßte über die 12.000 Mitarbeiter hinaus, die bisher in diesem Bereich entlassen wurden, weiteren 10.000 gekündigt werden. Mag sein, daß nach dem Schröder- Wahlsieg demnächst auch die von der „Modernisierung“ Betroffenen selbstbewußter auftreten. Vorerst mehren sich die Aufdeckungen von Millionenverlusten durch falsche Investitionen bei den noch nicht privatisierten Stadtbetrieben – während z.B. die privatisierte Bewag bereits derart hohe Gewinne ausschüttet, daß es ein großer Verlust für die Stadtkasse ist. Es gibt zwar eine atmosphärische Verbesserung seit dem Wahlsieg der SPD-Macher, aber deren effektives Handling der Produktionsverhältnisse wird ignoriert: „Motor der Geschichte“ ist allein der Klassenkampf (neudeutsch: Networking?). Zum Glück für die Macher hat die Parteibasis dies inzwischen auch vergessen. Helmut Höge

Helmut Höge ist Autor der taz. Normalzeit, abgeleitet von Normalzeituhr, ist der Takt, in dem die Hauptstadt tickt.