Alte Mauern, wenig Platz, erst recht keine Kohle

■ Brandenburgs Justizvollzugsbeamte üben sich im Fluchtfall Serow in Selbstkritik

Berlin (taz) – Der politisch Verantwortliche für den Fluchtskandal ist gefunden: Brandenburgs Justizminister Hans Otto Bräutigam, oberster Dienstherr der zehn Gefängnisse des Landes. Intern aber stehen vor allem die Vollzugsbeamten in der Kritik. „Bequemlichkeit, Nachlässigkeit, Sorglosigkeit“ hätten den Ausbruch des Schwerverbrechers Sergej Serow erst ermöglicht, sagt Volker Meinhardt vom brandenburgischen Justizministerium der taz.

Meinhardt, der im Ministerium die Vollzugsbeamten vertritt, wirft ihnen schwere Verletzungen ihrer Dienstpflicht vor. So müssen laut Vorschrift die Räume in Untersuchungshaftanstalten wie der JVA Potsdam regelmäßig kontrolliert und ständig verschlossen sein und die Insassen bei allen Gängen begleitet werden.

Serow, der als Hausarbeiter Zugang zur Werkzeug- und zur Wäschekammer hatte und das ganze Gebäude erforschen konnte, hätte nie unbeaufsichtigt gelassen werden dürfen. Auch der Bund der Strafvollzugsbediensteten in Deutschland (BSBD) übt Selbstkritik. „Es wurden etliche Vorschriften mißachtet“, sagten der Bundesvorsitzende Franz Hellstern und Brandenburgs Landeschef Willi Köbke.

Erschwert wird die Arbeit der Vollzugsbeamten allerdings durch die schlechten Sicherheitsstandards. Nach Ansicht des BSBD ist die JVA Potsdam weniger sicher als die meisten der 300 anderen deutschen Gefängnisse. Sie ist aber kein Einzelfall. Viele Haftanstalten in Ostdeutschland sind in alten, maroden Gebäuden untergebracht – eine Erblast der DDR, in der es nach offizieller Verlautbarung keine Kriminalität gab. Entsprechend wenig wurde in die „Strafvollzugseinrichtungen“ investiert. Und entsprechend hoch war die Zahl der Ausbrüche, als nach der Wende immer mehr Häftlinge hinter Gitter wanderten.

1997 gelang in den fünf neuen Ländern 42 Insassen die Flucht; in diesem Jahr waren es bislang 29. Die Knäste sind nicht nur unsicher, sondern auch eng: Die Überbelegung liegt im Schnitt bei 30 Prozent. In Brandenburg beispielsweise sind die 2.084 Haftplätze mit 2.265 Menschen belegt; die 36 Plätze in der JVA Potsdam mit 56.

Nach der Wende hätte modernisiert werden müssen, sagt Meinhardt. „Sicherheit gibt's nicht zum Nulltarif.“ Rund 600 Millionen Mark sind fällig, um die brandenburgischen Gefängnisse zu modernisieren. Wo er das Geld hernehmen soll, weiß Justizminister Bräutigam nicht. Verschiedene private Finanzierungsmodelle würden zur Zeit geprüft, sagte eine Sprecherin.

Unbelastet von Regierungsverantwortung hat die Opposition im Landtag konkrete Pläne. Die CDU will umschichten: Insgesamt 450 Millionen Mark könnten im Haushalt 1999 anders verteilt werden, sagt Fraktionsgeschäftsführer Dierk Homeyer der taz. 30 Millionen davon sollen dann in den Gesamtbereich Innere Sicherheit investiert werden. „Sicherlich ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, gibt Homeyer zu, „aber alles andere wäre unseriös.“

Sparen will die PDS. Allein im Justizministerium könnten 6 Millionen Mark bei Sachausgaben wie Bürobedarf und Telefongebühren gespart werden, sagt der rechtspolitische Fraktionssprecher, Stefan Ludwig. „Damit können eine Menge neue Stellen in den Gefängnissen finanziert werden.“ Angesichts der Gesamtkosten könnten die alten Anstalten nur Schritt für Schritt modernisiert werden. Mehr Personal müßte die Sicherheitsmängel ausgleichen. Die 54 Häftlinge im Potsdamer Gefängnis werden von 38 Vollzugsbeamten betreut. Im Idealfall reiche das aus, sagt Personalvertreter Meinhardt. Allerdings habe die JVA Potsdam im brandenburgischen Vergleich den höchsten Krankenstand. Der Grund: In U-Haftanstalten sei der Streß am größten, weil die Gefangenen direkt „aus der Freiheit hinter Gitter kommen“, erklärt Meinhardt. „Da gibt es wesentlich mehr Randale, Suizid- und Ausbruchsversuche.“ Letztes hat sich gezeigt. Kerstin Willers