Langwieriger Treck an die Spree

Verzögerungen, Risiken und Notquartiere – Bundeskabinett berät Bericht von Bundesbauminister Müntefering zum Stand der Umzugsvorbereitungen  ■ Von Barbara Junge

Berlin (taz) – Schon Mitte 1999 will ich in Berlin regieren, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) direkt nach seiner Wahl verkündet. Gestern konfrontierte Bundesbau- und Verkehrsminister Franz Müntefering (SPD) die schönen Träume seiner KollegInnen mit einer realistischen Grundlage – und zeichnete dabei ein wenig erquickliches Szenario.

In Notquartieren oder nur mit Rudimenten der Verwaltung wird Rot-Grün im kommenden Jahr in der Hauptstadt Einzug halten. Münteferings Bericht zum Stand der Umzugsvorkehrungen, der gestern im Bonner Kabinett beraten wurde, ist gespickt mit Formulierungen wie: „wird verspätet übergeben“, „Terminverzögerungen nicht auszuschließen“, „auf Herbst 2000 verschieben“ oder „ist mit großen Risiken behaftet“.

Auch wenn der Minister nach der Regierungssitzung erklärte, „der Umzug kann pünktlich stattfinden“ – ist doch klar: Die Ressortspitzen werden zumindest vorübergehend inmitten einer Baustelle regieren müssen.

Das Bundespräsidialamt ist zwar für die Verwaltungsebene fertig, doch an eine „repräsentative Unterbringung des Bundespräsidenten“ ist 1999 nicht zu denken. Drei Monate beträgt der Verzug beim Reichstag, hier „wird zur Zeit versucht“, die Verzögerung „durch eine geänderte Terminplanung aufzuholen“. Die Bundestagsabgeordneten beispielsweise und ihre MitarbeiterInnen, etwa 4.000 Personen, müssen sich 2.500 Büros teilen, die zunächst in Altbauten untergebracht werden. Die Neubauten für die Abgeordneten stehen frühestens im November 2000 zur Verfügung. Erst dann können auch die Ausschüsse des Bundestages wie geplant in die Neubauten ziehen.

Der Bundesrat im Preußischen Herrenhaus wird im Mai 2000 fertiggestellt, bis dahin können 50 Arbeitsplätze im Detlev-Rohwedder- Haus unterschlüpfen. Das Bundeskanzleramt wird zu 15 Prozent rechtzeitig eine Bleibe in Berlin finden. 76 Arbeitsplätze der Amtsspitze können im Staatsratsgebäude am Schloßplatz ein provisorisches Kanzleramt bilden. Die Restbehörde kommt im Oktober 2000 nach. Das Bundespresseamt soll es immerhin schon im Herbst 1999 auf ein Viertel bringen, „infolge von Problemen im Bauablauf“ wird sich der Bau des Presseamtes um ein Jahr verschieben.

Ministerien, ob mit Haupt- oder mit Nebensitz in Berlin, bereiten ebenfalls Kopfzerbrechen. Das Auswärtige Amt kommt mit einem Zehntel rechtzeitig an die Spree, Anfang 2000 zieht der Rest nach. Das Bundesjustizministerium kommt in Gänze und rechtzeitig in der Hauptstadt an, wird allerdings ein Notquartier aufschlagen müssen. Keine Probleme sieht Müntefering beim Bundesinnenministerium, beim Wirtschafts- und beim Landwirtschafts- genauso wie beim Gesundheitsressort. Sorgenkinder sind neben anderen die Ressorts Finanzen, Arbeit, Familie, Bildung.

Infolge des verzögerten Behördenumzugs sind auch verläßliche Zahlen zu den benötigten Privatwohnungen schwer zu errechnen. Insgesamt geht Müntefering von 9.100 Wohnungen aus, davon 3.225 ehemalige Alliiertenwohnungen, 1.812 Neubauwohnungen und 4.140 „Eigentumsmaßnahmen“. Den Wohnungsmarkt in Berlin, das ist jetzt schon abzusehen, erwartet ein angespanntes Jahr 1999.

Überraschungen hält Müntefering in einem Kapitel „Noch offene Fragen“ bereit: „Die Verhandlungen zwischen Berlin und dem Bundesfinanzministerium zur Finanzierung der Entwicklungsmaßnahme Hauptstadt Berlin – Parlaments- und Regierungsviertel sind noch nicht abgeschlossen“, heißt es in dem Bericht. „Daraus könnten sich negative Konsequenzen für die Erschließung des Parlaments- und Regierungsviertels ergeben.“

Eine besonders für die BerlinerInnen negative Konsequenz zeichnet sich schon ab: Da die neue zentrale Straßenachse durch das Parlamentsviertel, der Tunnel der Nord-Süd-Autoverbindung B96, erst Jahre nach dem Bundeskanzleramt in Betrieb genommen werden wird, erwägt Müntefering eine provisorische Umleitung der bisher dort verlaufenden Straße. „Aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens und aus Sicherheits- und protokollarischen Gründen erscheint es nicht möglich, den Verkehr unmittelbar am Kanzleramt vorbeizuführen.“ Also ein weiteres Provisorium in unmittelbarer Nähe des Potsdamer Platzes und der Baustelle des neuen Zentralbahnhofs der Hauptstadt, dem Lehrter Bahnhof.

Ein Trostpflaster hält der Bauminster parat: Zwar werden das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt und die Bundestagsbauten teurer als vorgesehen, insgesamt jedoch „wird der vorgesehene Gesamtkostenrahmen (20 Milliarden Mark) nach heutigem Erkenntnisstand eingehalten“.