"Pinochet ist gedemüdigt, geschädigt"

■ Die sozialistische chilenische Politikerin Isabel Allende, Tochter des gestürzten ehemaligen Präsidenten Salvador Allende, über die Perspektiven Chiles im Falle einer Rückkehr des Ex-Diktators Augusto

Isabel Allende ist die Tochter des ehemaligen chilenischen Präsidenten Salvador Allende und stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Partei. Oft wird sie mit der gleichnamigen Schriftstellerin verwechselt, ihrer Cousine. Als das Militär am 11. September 1973 gegen ihren Vater putschte, verließ Isabel Allende fünf Minuten vor der Bombardierung des Präsidentenpalastes das Gebäude. Zwei Tage später verließ sie Chile – erst 16 Jahre später kehrte sie aus dem Exil zurück.

taz: Frau Allende, vor Ihrem Haus steht kein Polizist. Haben Sie keine Drohungen erhalten?

Isabel Allende: Nein. Als ich vor gut einem Jahr nach Spanien gereist bin, um dort gegen Pinochet auszusagen, bin ich bedroht worden. Im Augenblick lebe ich ein ganz normales Leben.

In den letzten Wochen hat die Armee zahlreiche feine, eindeutige Drohgebärden gemacht. Wie ernst nehmen Sie das?

Es ist verständlich, daß die Generäle ihre Sorge, ihr Unwohlsein ausdrücken. Aber sie haben es im Rahmen der Verfassung getan. Ihnen bleibt auch nichts anderes übrig. Sobald sie den institutionellen Rahmen verlassen, schaden sie Pinochet, anstatt ihm zu helfen.

Was glauben Sie: Wie werden die britischen Lords über Pinochets Auslieferung entscheiden?

Schwer zu sagen. Sicher ist, daß das Urteil weit über den Fall Pinochet hinausreicht. Eine universelle Debatte hat sich entzündet darüber, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der Immunität eines Staatschefs geschützt sind oder nicht. Das Urteil wird historisch, es wird ein Davor und Danach geben.

Was bedeutet die Festnahme Pinochets für Sie? Was für Chile?

In der Vergangenheit wurde in Chile die Wahrheit der Sieger erzählt. Die Festnahme Pinochets hat die chilenische Gesellschaft gezwungen, die Dinge beim Namen zu nennen. Früher sprach man von „Exzessen“. Heute spricht man von Diktatur, Ermordeten, Folter. Die letzten Wochen haben gezeigt: Chile braucht zu seiner Versöhnung Wahrheit und Gerechtigkeit.

Zwei Szenarien sind denkbar für die nächsten Monate. Das erste: Pinochet kehrt heim. Was geschieht dann in Chile?

Die rechten Parteien werden das als einen Sieg feiern. Aber Pinochet ist gedemütigt, beschädigt, sein Bild ist zerstört. Auch wenn er juristisch gewinnt, moralisch hat er schon jetzt verloren. Sieben bedeutsame Rechtsstaaten haben ihn angeklagt: In gewisser Weise ist so das Urteil über ihn bereits gefällt worden. Die Europäer sagen: Schaut her, dieser Herr ist ein Diktator. Das hat das chilenische Bewußtsein schlagartig verändert.

Wenn Pinochet zurückkehrt, werden Sie für seine Verurteilung in Chile kämpfen?

Die Rechte ist nicht müde geworden zu betonen, daß Pinochet nicht in Spanien, sondern in Chile vor Gericht gestellt werden müsse. Das soll dann bitte auch geschehen. Das Amnestiegesetz muß zurückgenommen werden, und Pinochet soll sich wie jeder andere Bürger auch vor Gericht verteidigen.

Das zweite Szenario: Pinochet wird nach Spanien ausgeliefert. Was geschieht dann?

Das ist ein langfristiges Szenario, da Pinochets Verteidiger zahllose Rechtsmittel gegen seine Auslieferung einlegen können. Das kann Monate dauern oder auch Jahre. Die demokratischen Institutionen werden in Chile weiter arbeiten, und die Armee darf weiterhin ihre Besorgnis oder auch Aufregung ausdrücken – mehr nicht.

Dennoch zeigt die gegenwärtige Krise die Schwäche der Zivilgesellschaft. Wann wird Chile in der Lage sein, solche Krisen ohne Androhung von Gewalt zu bewältigen?

Sie sprechen einen sehr traurigen Punkt an. Die chilenische Rechte ist wenig demokratisch, besitzt ein großes Gewaltpotential und scheint wenig dazuzulernen. Das hat sie in den letzten Tagen nachdrücklich gezeigt. So etwas ermutigt andere zu radikalen Aktionen, die in Morden oder Mordandrohungen münden können. Zahlreiche meiner Kollegen haben solche Drohungen erhalten.

War das Schweigen, das Vergessen, das Weißwaschen der blutigen Vergangenheit die Bedingung der Militärs für den Übergang zur Demokratie?

Natürlich haben wir, als wir diesen Weg des Übergangs zur Demokratie einschlugen, die Verfassung akzeptiert, die 1980 von Pinochet erlassen wurde. Sie enthält zahlreiche undemokratische Elemente. Wir müssen versuchen, sie langsam zu verändern, was durch die Verfassung selbst wiederum sehr schwergemacht ist. Wir akzeptieren sogar, daß Pinochet im Senat sitzt, auch das sieht die Verfassung vor. Aber wir akzeptieren nicht, daß er bis in alle Ewigkeit straflos davonkommt. Interview: Ariel Hauptmeier