Alles nur geliehen

Elf von 41 Bücherhallen droht die Schließung – darunter denen der ärmsten Bezirke  ■ Von Heike Dierbach

arl Lehmann gibt sich Mühe, nicht zu verbittern. Aber das fällt zunehmend schwer. „Ich habe das Gefühl, alles ist nur geliehen“, seufzt der Bibliothekar. „Alles“ ist ein etwa 100 Quadratmeter großer Raum mit einer Galerie – die Bücherhalle Dulsberg, die die rund 18.000 Menschen in Hamburgs ärmstem Stadtteil mit Lesestoff versorgt. Ihr und zehn anderen Bücherhallen – darunter denen in St. Pauli und Wilhelmsburg – droht Ende 1999 die Schließung.

Der Stiftung Hamburger Öffentliche Bücherhallen (HÖB) fehlt Geld. Die Subventionen sind für das kommende Jahr eingefroren, was, wie HÖB-Direktorin Hella Schwemer-Martienßen bereits im August darlegte, „durch die Preis- und Tariferhöhungen de facto bedeutet, 800.000 Mark einzusparen“. Zum Wie und Wo gehen die Meinungen innerhalb der HÖB auseinander: Die RegionalleiterInnen als VertreterInnen der 41 Stadtteilbibliotheken favorisieren das sogenannte 40er-Modell: Durch eine Einschränkung des Services in den einzelnen Bibliotheken soll das Bücherhallennetz weitgehend erhalten bleiben. Das 30er-Modell hingegen will durch Schließung von rund zehn Hallen das „Gesamtunternehmen gesund erhalten“, wie Schwemer-Martienßen es nennt.

Sie entschied sich vorige Woche für letzteres und schlug die „Opfer“ vor – zum Ärger der vier RegionalleiterInnen, die daraufhin ihre Mitarbeit an der Strukturreform aufkündigten. „Die Verödung der Stadtteile darf erst der allerletzte Weg sein“, schimpft Gudrun Lütkens, Regionalleiterin Nord. Auch Betriebsrätin Karin Werner wirft der Leitung vor, allein auf das „Schließungs-Pferd“ zu setzen. Auf einer Mitarbeiterversammlung am Mittwoch dieser Woche lenkte Schwemer-Martienßen ein und versprach, noch einmal nach einem Kompromiß zu suchen. „Aber wir können an vielen Standorten nicht noch weiter reduzieren“, rechtfertigt sie – und verweist auf die Verantwortung der Politik.

Nach Bekanntwerden der Streichungsliste hatten alle Fraktionen der Bürgerschaft protestiert, gestern waren die HÖB Thema einer Aktuellen Stunde (siehe rechts). Darin befürwortete auch Kultursenatorin Christina Weiss (parteilos) die Aufgabe von Standorten zwecks „Qualitätssicherung“ an anderen. „Aber gerade die Gruppe, die uns besonders wichtig ist, kann nicht mal eben zu anderen Bücherhallen fahren“, erläutert Susanne Märtens, Leiterin der Bücherhalle Dulsberg, „Kinder und ältere Menschen fallen dann einfach heraus“. 80 Prozent ihrer BesucherInnen haben eine Nutzerkarte für Einkommensschwache. „Nach Wandsbek lasse ich meine Tochter nicht allein fahren“, bemerkt eine Kundin. Auch Mobilere wie Werbetechniker Klaus Schulz meinen: „Das würde ich mir dann schon zweimal überlegen.“

Die Erfahrung der Schließung von elf Bücherhallen 1996 und 97 zeigt, daß rund 60 Prozent der NutzerInnen den Weg in eine andere Bücherhalle finden – womit dort der Aufwand steigt. Karl Lehmann war schon 1996 in Berne betroffen. Weil die Proteste damals nichts halfen, sei die Stimmung heute resigniert. „Die Oberen denken wohl, hier geht es nur um Abfertigung“, schimpft er, „irgendwann gibt es dann wohl nur noch eine Bücherhalle pro Bezirk – sieben Glaspaläste.“