„Ramadan ist eine Selbstverständlichkeit“

■ Diplompädagogin Pia Keukert schickt ihren Sohn Jan (9) auf eine Kreuzberger Grundschule, obwohl sie im Nachbarbezirk Treptow wohnt. Den Ausschlag gab – der multikulturelle Unterricht

taz: Warum schicken Sie Ihren Sohn nicht in Treptow auf eine Grundschule?

Pia Keukert: Wir haben uns bewußt dafür entschieden. Ich wollte, daß Jan in eine Schule geht, die Kinder verschiedener Nationalitäten besuchen. In Kreuzberg gibt es viele unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen und Ethnien. Das spiegelt sich auch in den Schulen wieder. Nur Kinder aus Mittelschichtsfamilien in einer Klasse ist keine Herausforderung für neue Wege. Und ich glaube, daß eine Schule außer Wissensvermittlung heutzutage noch mehr bieten muß. Was wir an den Kreuzberger Schulen vorfinden, ist ein Stück gesellschaftliche Realität, und dadurch lernen die Kinder. In der Klasse von meinem Sohn sind von 24 Kindern elf nichtdeutscher Herkunftssprache. Vier sind aus binationalen Beziehungen. In Treptow wäre er zum damaligen Zeitpunkt in einer überwiegend deutschen Klasse gewesen.

Was ist anders in einer Schule mit vielen Nationalitäten?

Es werden Themen aus den unterschiedlichen Kulturen behandelt. Für meinen Sohn sind Ramadan und Newroz genau so eine Selbstverständlichkeit wie Weihnachten und Ostern. Aber nur, weil es in der Schule thematisiert wurde. Außerdem haben sie ein Partnerprojekt im Senegal. Wir machen Kiezspaziergänge, besuchen Kinder zu Hause, erforschen die Umwelt. Dabei ist die Niederlausitz-Schule keine besondere Grundschule, wir sind eine ganz normale Schule in Kreuzberg.

Aber die Schule ist doch sicherlich nicht problemfrei?

Schwierigkeiten ergeben sich, wenn die Kinder nur sehr schlecht Deutsch sprechen. Zum Beispiel, weil sie in keine Kita gegangen sind. Und es ist problematisch, daß viele Familien, zum Beispiel arabische, wenig mit den anderen Eltern kommunizieren.

Sind die anderen deutschen Eltern auch mit der Schulsituation zufrieden?

Die Deutschen, die ihre Kinder auf unsere Schule schicken, machen das alle sehr bewußt. Aber es gibt auch viele Noch-Linke oder Alternative, die in Kreuzberg in ihrem tollen Dachgeschoß leben, aber ihre Kinder lieber in einen anderen Stadtteil zu Schule schicken. Deren Ängste sind sehr diffus.

Natürlich werden die Diskussionen größer, wenn es um das Gymnasium geht. Die deutschen Eltern sorgen sich, ob eine Kreuzberger Grundschule eine gute Profilbildung in der 5. und 6. Klasse hat, damit das Kind auf dem Gymnasium einen Anschluß findet. Denn die Anforderungen auf den Kreuzberger Grundschulen sind anders, nicht höher oder niedriger, sondern anders.

Inwieweit?

Zum Beispiel bekommen auf unserer Schule in einigen Klassen die Kinder erst ab der 4. Klasse Noten. Klassische Bewertungskriterien funktionieren nicht, wenn Kinder wenig Deutschkenntnisse haben. Die unterschiedlichen Fähigkeiten der SchülerInnen müssen gefördert werden, Notengebung ist da erst einmal hinderlich. Die Lehrer führen viele Gespräche mit den Eltern, versuchen sie in den Unterricht miteinzubeziehen. Sie schauen viel genauer hin. Hier sind andere Lehrmethoden, zum Beispiel handlungsorientierter Unterricht, gefragt.

Wie könnten die Bedingungen verbessert werden?

In Stadtteilen, in denen viele Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache leben, muß der Stellenschlüssel gesenkt werden. Für 27 Kinder, die alle aus dem gleichen sozialen und ethnischen Umfeld kommen, ist eine Lehrerin vielleicht ausreichend. Bei sieben oder acht Nationalitäten und teilweise verschiedenen Altersstufen reicht das nicht aus. Wir brauchen zum Beispiel mehr Teilungsunterricht, in dem dann zwei LehrerInnen unterrichten. Aber diese Konzepte kosten Geld. Es sind in Berlin sehr viele Förderstunden gestrichen worden. Außerdem werden nicht genug junge LehrerInnen mit innovativen Unterrichtsmethoden eingestellt. Interview: Julia Naumann