Aschenputtel meldet sich zurück

■ Nach Alba Berlins überraschendem 75:72-Erfolg gegen Champion Kinder Bologna sieht die Situation in der Europaliga wieder etwas freundlicher aus

Berlin (taz) – Lange nicht mehr gesehen auf dem Parkett der Berliner Max-Schmeling-Halle: gelbgewandete Menschen, die herumhüpfen wie Rumpelstilzchen auf Ecstasy, haltlos in freudige Tränen ausbrechen und einander voller Begeisterung um den Hals fallen; die mit einer Ausdauer ins tobende Publikum winken, wie sie früher höchstens das Politbüro der DDR bei der Maiparade an den Tag legte, oder (Trainersohn Marko Pesic) den Medienvertretern mit gebieterischer Geste zu verstehen geben, daß sie über das gerade mit einem 75:72-Sieg beendete Europaligamatch von Alba Berlin gegen Kinder Bologna gefälligst ebenso hingebungsvoll zu berichten hätten wie über die sieben Partien zuvor.

Die gingen allesamt verloren, das böse Wort von der Krise drehte emsig seine Runden, und in der erfolgssüchtigen Metropole, wo die sportliche „Generation Berlin“ noch leicht hinterherhinkt, konnte man es schwer verkraften, daß nun auch noch das internationale Aushängeschild der letzten Jahre Schande über die Hauptstadt brachte. Nach dem Erreichen des Achtel- bzw. Viertelfinales der Europaliga hatte gefälligst der Angriff auf den Titel zu folgen.

Statt dessen kam der Absturz zum „Aschenputtel der Liga“ (Gazzetta dello Sport). Da half es Coach Svetislav Pesic wenig, immer wieder darauf zu verweisen, daß die Mannschaft nicht nur neu formiert wurde, sondern auch die zweitjüngste im Wettbewerb ist. Schon erhoben sich erste Stimmen, die sich darüber mokierten, daß der Trainer trotz europäischer Pleitenflut bei Alba offenbar nicht zur Disposition stand. Verständnis findet Pesic – gerade mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, beim Euro-All-Star-Game am 29.12. in Berlin die West-Auswahl zu betreuen – eher bei seinen Berufskollegen. „Sie haben Hochs und Tiefs wie jedes junge Team“, meint Bolognas renommierter Coach Ettore Messina und wußte schon vor dem Spiel: „Sie sind nicht so schwach, wie die 0 in der Tabelle vermuten läßt.“ Daß aber gerade gegen den Europacupsieger der ersehnte erste Sieg gelingen würde, hatte auch er nicht erwartet. „Wir haben normal gespielt“, analysierte der Coach, „aber auswärts gegen eine gute Mannschaft genügt das nicht.“

Nichts sei eigentlich schlecht gewesen bei den glanzvoll besetzten Bolognesern mit ihren Superstars Danilovic, Rigaudeau und Nesterovic, aber auch „kein Teil exzellent“. Gegen ein labiles Berliner Team, wie es sich bisher in der Europaliga präsentierte, wäre eine durchschnittliche Leistung der italienischen Spitzenmannschaft ausreichend gewesen, doch diesmal gelang es Alba, das zu beweisen, was Trainer Svetislav Pesic stets behauptet, ihm aber zuletzt keiner mehr geglaubt hatte: „Wir können jeden in Europa schlagen.“ Die Gazzetta jedenfalls war des Lobes voll: „Ein perfektes Match.“

Der glorreiche Sieg gibt Hoffnung für die letzten beiden Gruppenspiele gegen Istanbul und in Zadar – und schon war Pesic wieder obenauf. „Wir spielen immer an der Grenze des Risikos“, sagte er, „man kann gewinnen oder mit 20 Punkten verlieren.“ Aber, daran ließ der Alba-Coach keinen Zweifel, „wir verlieren lieber, als daß wir häßlichen Basketball spielen.“ Am Mittwoch blieb den 6.000 Zuschauern in der längst nicht ausverkauften Halle (auch Basketballfans gucken Fußball) beides erspart, und Svetislav Pesic triumphierte: „Die Fans haben gesehen, daß Alba noch lebt.“ Matti Lieske