Auf den Straßen rollt nur Schrott

Die von der UNO verhängten Sanktionen betreffen im Irak alle Lebensbereiche. Weil Autoersatzteile fehlen, werden Kfz-Mechaniker zu Improvisationskünstlern  ■ Aus Bagdad Karim El-Gawhary

Eigentlich wollte er sich gerade mit einer Steinschleuder nach seinem Abendessen umtun. Abu Muhammad, der verschlafene Wärter der Autorennstrecke im Süden Bagdads, ist auf Fasanenjagd. Doch nach dem Vorschlag, mit unserem verbeulten Toyota (Baujahr 1980) auf der Rennpiste eine Spritztour zu machen, verschiebt er sein Unterfangen.

Michael Schumacher wäre überfordert, sollte er sein Gefährt an den auf der Rennpiste aufgeschichteten Heuhaufen vorbeilenken und dabei so auf das Gas drücken, daß die ihn verfolgenden wilden Hunde nicht auf die Kühlerhaube springen. Der irakische Taxifahrer meistert das Kunststück, ohne mit der Wimper zu zucken. Geschickt manövriert er seinen Klapperkiste wie im Elch-Test um hier abgestellte, verrottende russische MiG-Kampfflugzeuge. Der letzte Golfkrieg und die jetzt acht Jahre andauernden UN-Sanktionen haben Bagdads einstigem autosportlichen Schmuckstück schwer zugesetzt.

Dabei hatte es nur drei Jahre vor dem irakischen Einmarsch in Kuwait, am 2. August 1990, so gut angefangen. Ein Name für die Rennstrecke war schnell gefunden: „Abed“, benannt nach der gleichnamigen größten Baureihe von Scud-Raketen, sollte Geschwindigkeit suggerieren. Damals kamen die Besucher noch zu Tausenden zu den Rennen. Noch zwei Monate bevor im Februar 1991 die ersten US-Raketen in Bagdad einschlugen, waren hier zum letzten Mal die Motoren aufgeheult.

Theoretisch ist bis heute noch immer Udai, der älteste Sohn Saddam Husseins, Schirmherr der Rennbahn. Der Präsidentensproß ist passionierter Autosammler. Wie viele Karossen er tatsächlich sein eigen nennt, ist in der irakischen Hauptstadt fast schon eine mystische Frage. Hunderte? Tausende? Wer immer ein interessantes Modell einführt, muß mit dem Besuch der Männer des mächtigen Sohnes rechnen. Das Geschäft ist schnell abgeschlossen und nicht immer zum Nachteil des Verkäufers, der ohnehin keine andere Option hat. In einem Stadtteil erinnert man sich, wie vor einem Jahr ein gutbetuchter Nachbar eine besondere Ausführung eines Porsche importiert hatte. Kurz darauf bekam er Besuch und „tauschte“ den Porsche gegen zwei Luxuslimousinen.

Für die meisten Autobesitzer Bagdads ist solch hoher Besuch allerdings unwahrscheinlich. Sie haben ganz andere Probleme mit ihrem fahrbaren Untersatz. Drei bis fünf Dollar durchschnittliches Monatsgehalt reichen weder für einen Neuwagen noch zur Instandsetzung des guten alten Stücks. Durch die Sanktionen sind Ersatzteile zur Luxusware geworden. Die Verkehrspolizei winkt schon lange niemanden mehr rechts ran, wenn wesentliche Teile des Autos kaputt sind oder ganz fehlen. Die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge auf Bagdads Straßen darf man getrost als verkehrsgefährdenden Schrott bezeichnen.

Falls es sich dabei um ein im Irak weitverbreitetes Modell amerikanischer Bauart handelt, sind die Besitzer zumeist Kunden der Autowerkstatt von Samir Abbas Kathim. Seinen richtigen Namen kennt allerdings kaum jemand, Doch sein Nom de guerre ist bis ins benachbarte Jordanien bekannt: Samir Malibu. Chevrolets des Typs Malibu sind seine Spezialität. Als er vor 20 Jahren in der gleichen Werkstatt begonnen hatte, sich für die schiffsartigen glitzernden Karossen zu interessieren, hatte er sich nicht träumen lassen, unter welchen Umständen er einmal seinem Handwerk nachgehen würde. Der Parkplatz seiner Werkstatt ist eine Ansammlung von amerikanischem Alteisen. Er habe noch nie ein Auto aufgegeben, erzählt der Mechaniker stolz, während er sich in seinen ölverschmierten Klamotten auf einem Hocker niederläßt und Tee schlürft.

Samir Malibu gilt als Meister der Improvisation. Im Detail demonstriert er, wie er ein fehlendes Verbindungsstück zu einem Vergaser nachgebaut hat. „Bring mir das kaputteste amerikanische Auto, daß du in Bagdad finden kannst, ich mache es wieder fahrtüchtig“, erklärt er siegessicher.

Doch nicht immer nagt nur der Zahn der Zeit an des Irakers Lieblingsstück. „Früher konnte man das Auto nachts offen stehen lassen, aber inzwischen gibt es zu viele Ali Babas in der Stadt“, beschreibt ein Autobesitzer die prekäre Lage. War Diebstahl vor den UN-Sanktionen im Irak fast unbekannt, gelten heute krumme Finger als probates Mittel im täglichen Überlebenskampf. Er habe sein Auto nur abgestellt, um einzukaufen, als er eine Stunde später zurückkam, hätten beide Vorderreifen gefehlt, erzählt ein Taxifahrer.

Jeden Freitag ist Ersatzteiltag. Auf einem Markt im Zentrum der Stadt finden Autobesitzer auf Hunderten Decken ausgebreitet alles, was sie brauchen, um ihren Wagen am Laufen zu halten. Von alten Vergasern, Benzinpumpen über Achsen und Stoßdämpfer ist alles zu haben. Suk al-Haramija – Markt der Diebe – wird dieser Umschlagplatz genannt. Wer etwa seine Rückleuchte vermißt, kann sie womöglich hier wieder zurückkaufen. Die Sanktionen haben der irakischen Ökonomie ihren eigenen Zyklus verliehen. Wenn keine neuen Ersatzteile hereinkommen, nimmt der Warenkreislauf eben ungewohnte Wege. Autobesitzer und Ali Babas sind in Bagdad in einer Schicksalgemeinschaft verbunden.