Bei Freistoß folgt Auslieferung

Offiziell reist Italiens Regierungschef D'Alema zu einem Fußballspiel in die Türkei. Nebenbei wird er über das Schicksal von PKK-Chef Öcalan verhandeln  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Im italienisch-türkischen Streit um Abdullah Öcalan deutet sich ein Kompromiß an. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministers Izmet Sezgin will Italiens Regierungschef Massimo D'Alema in der kommenden Woche in die Türkei reisen. Offizieller Anlaß ist ein Fußballspiel zwischen Galatasary Istanbul und Juventus Turin am Mittwoch. Hinter den Kulissen wird jedoch mit Sicherheit über das Schicksal des in Rom inhaftierten Chefs der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) geredet werden.

Bislang sah es so aus, als würde der Streit um den Verbleib Öcalans zu einer tiefen Krise zwischen beiden Ländern führen. In einer Sondersitzung des Parlaments hatte der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz die italienische Regierung am Mittwoch noch einmal zur Auslieferung Öcalans aufgefordert. Ansonsten mache sich Italien „zum Komplizen des Terros“. Erneut erteilte Yilmaz Forderungen aus Europa, die Kurdenfrage durch Verhandlungen mit der PKK zu lösen, eine eindeutige Absage: „Ich rede jetzt im Namen aller Parteien in unserem Parlament. Keine türkische Regierung, auch nach uns nicht, wird sich mit dem Terroristen an einen Tisch setzen.“

Jeden Abend flimmern über türkische Fernseher Bilder von Greueltaten der PKK. Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung unter der Bevölkerung. Als am Dienstag knapp 200 Sympathisanten der PKK auf der zentralen Einkaufstraße Istanbuls, der Istiklal, versuchten, eine unangemeldete Demonstration durchzuführen, wurden die Demonstranten von wütenden Passanten so massiv angegriffen, daß die Polizei sie retten mußte. Täglich finden dagegen Kundgebungen für die Auslieferung Öcalans statt. Selbst Damen der besseren Gesellschaft sind sich nicht zu fein, auf der exklusiven Bagdad-Allee vor Benneton-Boutiquen mit Plakaten gegen die italienische Regierung zu protestieren.

Alle großen türkischen Konzerne haben bei ihren italienischen Partnern auf Auslieferung Öcalans gedrängt, seit Tagen wird in den türkischen Zeitungen über einen Wirtschaftsboykott diskutiert. Italien ist nach Deutschland und den USA der drittgrößte Handelspartner der Türkei. Ein lukratives Rüstungsgeschäft, der Verkauf italienischer Kampfhubschrauber an die türkische Armee für insgesamt 3,5 Milliarden US-Dollar, ist gefährdet.

Seit gestern kommen in den großen türkischen Zeitungen aber auch wieder verstärkt Kolumnisten zu Wort, die gegen die nationalistische Hysterie anschreiben. Das Blatt Yeni Yüzyil erinnert daran, daß den Kurden für die Zeit nach dem Krieg die Erfüllung legitimer kultureller Forderungen versprochen worden sei. Der Brüsseler Korrespondent von Hürriyet meint, Öcalan würde sich durch seine Rhetorik selbst diskreditieren. Bald würden sich andere kurdische Stimmen durchsetzen, wenn – so der Kolumnist von Radikal – die Türkei aufhöre, sich ihres alten „Terrorjargons“ zu bedienen. Erste Schritte in diese Richtung deuten sich an. In Abstimmung mit Generalstabschefs Hüseyin Kivrikoglu hat Regierungschef Yilmaz einen Entwurf für ein „Reuegesetz“ vorbereiten lassen. Darin soll PKK-Kämpfern, die sich ergeben, Strafnachlaß bis hin zu einer Amnestie angeboten werden. Kommentar Seite 12