: Am Anfang war der Brei
Unsere Vorfahren kauten zuerst Körner und erfanden dann den Brei. Das erste Brot war ein Zufallsprodukt. Als man schließlich auf den Geschmack gekommen war, ließ sich der Siegeszug des Brotes nicht mehr aufhalten. Später wurde sogar Arbeit in Laibern entlohnt. Jesus beliebte, es zu brechen. Und nach der Französischen Revolution hieß es: Gleiches Brot für alle. Heute wundern wir uns über die Brotvorlieben unserer Nachbarn und vermissen fern der Heimat das bißfeste Graubrot. Eine Kulturgeschichte des rotes ■ von Ute Eschenbacher
Das Wetter war gut, der Fisch phantastisch, die Menschen von ausgesuchter Freundlichkeit. Es war ein sehr gelungener Urlaub. Wehmut beim Abflug, aber auch diese seltsame Leere in der Magengegend. Und eine wohlige Vorstellung: eine dicke Scheibe von einem duftenden frischen Graubrot. Mit Butter. Und dann reinbeißen. Das gibt es eben nur zu Hause.
Egal, wie lecker das Fladenbrot im Nahen Osten oder das Stangenweißbrot in Südeuropa ist und unabhängig davon, wieviel Toleranz man gegenüber der US-amerikanischen Variante zu entwickeln versucht – die Sehnsucht bleibt. Der Deutsche liebt zuvörderst dunkles bißfestes Brot; Toastliebhaber sind die große Ausnahme. 1997 verdrückte statistisch jeder Deutsche 84,6 Kilo Brot und Brötchen, fanden Konsumforscher heraus. Mischbrote aus Roggen und Weizen führen die Beliebtheitsskala an.
Trotz der stetig wachsenden Auswahl an Lebensmitteln in unserer globalisierten Eßkultur sind die Tage, an denen ausschließlich auf andere Grundnahrungsmittel zurückgegriffen wird, selten. Denn ein Scheibchen Backware ist nie verkehrt.
In italienischen Nobelrestaurants werden Weißbrotschnitten dezent zu Suppe und Salat gereicht. Spitzenköche schwören auf die kombinierbare Beigabe. Da es fast zu jeder Menüfolge paßt, ist es von den Speisezetteln nicht wegzudenken. Der Küchendirektor im Bayerischen Hof in München, Hubert Reurauter, ist der festen Überzeugung: „Brot wird immer bleiben.“
Es lebe der einfache Genuß. Wie ist die Treue zum Brot, das in Reinform aus Mehl, Wasser und Hefe besteht, zu erklären? Brot ist nicht nur praktisch, lecker und sättigend. Für frühere Generationen war es das Symbol für Nahrung und Überleben schlechthin. Ohne Brot kein Sein. Die Bedeutung bezeugen im Deutschen viele Redewendungen: Eine „brotlose Kunst“ ausüben, bei „Wasser und Brot“ büßen, sein „Gnadenbrot“ erhalten oder sein „Brot verdienen“.
Tatsächlich verdienten sich die Ägypter unter Ramses noch ihr Brot im wörtlichen Sinne. Bevor das Geld eingeführt wurde, dienten Brot und Getreide als Zahlungsmittel. Vorarbeiter und Schreiber erhielten siebeneinhalb Säcke Getreide im Monat. Die Grundversorgung bestand aus fünf Laiben Brot und zwei Krügen Bier, fanden die Brotforscher Gert von Paczensky und Anna Dünnebier heraus.
Bei Herodot findet sich eine Sage über Pharao Psammetichos. Er habe zwei Kinder alleine, ohne menschliche Ansprache aufwachsen lassen. „Bekos“ soll ihr erstes Wort gewesen sein, der phrygische Begriff für Brot. Am Anfang war das Wort, und es hieß Brot.
Brot spielt ebenso in den Religionen eine herausragende Rolle. „Unser täglich Brot gib uns heute“, bitten gläubige Christen den Allmächtigen. Vom Judentum haben die Christen die Brotliturgie übernommen. Der Jude Jesus bricht am Sabbatabend für seine Jünger das Brot. „Dies ist mein Leib“, fügt er an seinem letzten Abend hinzu. Eine Szene, die – auch wenn es heute nur noch Eßpapier ist – im Abendmahl aufgenommen wird.
An wichtigen Festtagen werden Brot und Gebäck gegessen, zum Beispiel zu Ostern. Die Juden bescheiden sich an Pessach mit ungesäuertem Brot, die sogenannten Mazzen, das Brot des Mangels – in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, der so eilig war, daß keine Zeit blieb, das Brot gären zu lassen.
Vom Ackerbau abhängige Völker verehrten Getreide und Brot als göttliche Gaben und entwickelten daraus ihre Rituale und Bräuche. Brot und Salz als Zeichen der Gastfreundschaft oder als Glückwunsch entstammen jener Tradition. Brote wurden früher zudem in die Flüsse geworfen, damit das Wasser sich keine Menschenopfer sucht.
Schon vor Jahrtausenden begriffen die Mächtigen, daß ein voller Bauch ungern rebelliert; „Brot und Spiele“, wie der Römer sagt. Ein Gesetz garantierte jedem Bürger eine kostenlose Ration Brot am Tag. Darüber hinaus hielt man das Volk mit Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen bei Laune. Aus Furcht vor Unruhen bestätigten auch spätere Kaiser die Verordnung.
Wer die Forderung nach Brot ignoriert, muß dafür zuweilen bitter bezahlen. Mit ihrer Frage: „Warum essen sie denn kein Gebäck?“ zog Königin Marie-Antoinette den ungezügelten Volkszorn der hungernden Franzosen auf sich. Einer der ersten politischen Akte nach der Revolution: gleiches Brot für alle. Bestehend aus drei Teilen Weizen und einem Teil Roggen oder Gerste zog das Brot gegen die Ungleichheit zu Felde. Und machte Geschichte. Deshalb hat es wie der Wein, die Technik und die Kunst ein Denkmal verdient. Bereits König Krösus spendierte im sechsten Jahrhundert vor Christus dem Orakel von Delphi eine Statue aus Gold.
Angeblich stellt es die Frau dar, die ihm jeden Tag das Brot buk. Seit 1955 gibt es in Ulm ein Brotmuseum. Schließlich möchte der historisch interessierte Esser wissen, wo das Brotbacken seinen Ursprung nahm. Allerdings: „Das Urbrot gibt es nicht. Jede Kultur hat für sich herausgefunden, was ihr am besten schmeckt“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Annette Hillringhaus.
Das erste Brot war ein Zufallsprodukt. Zunächst aßen unsere Vorfahren rohe Körner, die sie später zu rösten lernten. Die Samen zerrieben sie zwischen Steinen und vermengten sie mit Wasser zu Brei. Halbflüssig auf einen heißen Stein oder glühende Tonplatten gegossen, entstand der erste, ungesäuerte Teig. Das Fladenbrot war geboren. Bis in die Gegenwart gehört es zur Eßkultur in Ländern wie Ägypten, Israel, Iran, Irak, Indien, Armenien, der Türkei und Mexiko.
Allerdings streiten sich Experten – Brot ist längst zum Forschungsgegenstand geworden – darüber, wer die ersten Getreidebrote gebacken hat. Bislang haben sie das Brotbacken den Ägyptern zugeschrieben. Vor sechstausend Jahren sollen sie aufgegangene Brotlaibe aus Sauerteig oder Hefe gekannt haben. Brauen und Backen gingen dabei wohl Hand in Hand: So stellten sie Bier aus halbgebackenen Broten her, umgekehrt wurde der übrige Brausatz zum Backen benutzt.
Durch die Afrikaner, die als Sklaven nach Griechenland kamen, lernte man auch in Athen das Brot kennen. Die Griechen verfeinerten die Rezepturen, nahmen wechselnde Mehlsorten, fügten Honig, Nüsse, Milch, Fett und Gewürze hinzu. Die Römer guckten sich das Brotbacken vor rund zweitausend Jahren von den Griechen, den „Brotessern“, ab. Zudem sorgten sie für eine moderne Mahltechnik, die Wassermühlen.
Doch nach neuesten Erkenntnissen haben schon die Mitteleuropäer zur gleichen Zeit wie die Ägypter gebacken. „Das Brot ist nicht an einem Ort entstanden. Es ist vielmehr an mehreren entwickelt worden“, sagt Fritz Hof, Ernährungswissenschaftler an der Uni Gießen. Das belegten archäologische Funde aus ehemaligen Pfahlbausiedlungen in Twand am Bieler See in der Schweiz.
„Der Siegeszug des Brotes ist eigentlich der Siegeszug des Breies“, erklärt Hof. Breie sind für viele Länder die älteste Form der zubereiteten Nahrung. Das Brot verdrängte sie in Europa endgültig erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Lange haftete ihm der Ruf als Armeleuteessen an. In Krisenzeiten wurde es jedoch zum begehrten Luxusobjekt.
„Der Hunger lehrte mich die Preise; der Gedanke an frisch gebackenes Brot machte mich ganz dumm im Kopf, und ich streifte oft stundenlang abends durch die Stadt und dachte nichts anderes als: ich war brotsüchtig, wie man morphiumsüchtig ist. Ich hatte Angst vor mir selbst.“ Walter Fendrich, der Held in Heinrich Bölls Nachkriegsroman „Das Brot der frühen Jahre“, gibt damit das Empfinden einer ganzen Generation wieder.
Wie konnten sich aber im Mittelmeerraum das Baguette und das helle Brot durchsetzen? Warum essen die Schweden Knäckebrot? Warum vermißt Topmodel Claudia Schiffer im Ausland die Vollkornstulle? Die Nordeuropäer bevorzugen zweifelsohne das Herzhaft-Solide, Südländer indes stehen auf luftig und locker. Die Amerikaner mögen's hell, weich und schlaff. Diese Vorlieben beruhen auf uralten Konventionen, sagt Wolfgang Weber, Professor für Europäische Kulturgeschichte an der Universität Augsburg. Schon im Mittelalter hielten Reisende aus dem Mittelmeerraum das dunkle Brot des Nordens für schwer verdaulich. Zu den Weinen und Speisen Italiens und Spaniens schien es ihnen schon gar nicht zu passen.
Doch nicht nur die mediterranen Geschmacksnerven rebellierten gegen Korn an Korn in Dunkelbraun. Helles Brot war über Jahrhunderte auch eine soziale Frage. Weißbrot war, solange es Standesgrenzen gab, das Brot der Reichen und Privilegierten.
Am französischen Hof wäre es undenkbar gewesen, auf Weißbrot zu verzichten, wenn sich der Adel der Völlerei mit exotischen Früchten, Braten und Süßwaren hingab. Das rief natürlich Fälscher unter den Bäckermeistern auf den Plan. Obwohl drakonische Strafen drohten, ließen sie nichts unversucht, um ihr Mehl aufzuhellen: Gips, Kreide, Knochenmehl. Doch eigentlich wurde Weißbrot nicht nach seiner Farbe benannt; Weiße ist das mittelalterliche Wort für Weizen.
Als Brot der Weißen führten es die imperialistischen Eroberer auch in ihren Kolonien ein. Das tägliche Brot der Afrikaner südlich der Sahara bestand lange Zeit aus Wurzeln und Knollenfrüchten wie beispielsweise Jams, Maniok und Kartoffeln, aber auch Hirse oder Mais.
Die einheimischen Eliten in den Städten nahmen die Gewohnheiten der Kolonialherren an. Um das begehrte helle Brot produzieren zu können, importierten viele Entwicklungsländer fortan Weizen. Dennoch ist für viele Jams mit Pfeffersoße das leckerste Frühstück geblieben.
Ute Eschenbacher, 26, ist freie Journalistin und lebt in Bamberg
Literatur: Gert von Paczensky und Anna Dünnebier – Kulturgeschichte des Essens und Trinkens; München 1994, 640 S., 24 Mark. Imfeld, Al – Brotlos. Die schöne neue Nahrung; Zürich 1998, 217 S., 32 Mark
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