Kunst: Irr oder daneben?

Über den richtigen Umgang mit einem falschen Projekt  ■ Von Hajo Schiff

Fingerfarbenbilder aus einem Drogenhilfeprojekt an der Wand des Kunstvereins, der in der Serie fast forward gerade die Kriterien der Kunst der 80er Jahre überprüft: Das konnte Direktor Stephan Schmidt-Wulffen nicht recht sein. Und so gab es zwischen ihm und den Veranstaltern des Hamburger Festivals Verrückte Kunst einige Unstimmigkeiten. Wer sich anschickt, therapeutische Produktionen in die etablierten Kunstinstitutionen zu bringen, ist noch immer für ein Skandälchen gut.

Das Festival bringt neben Kino, Theater und Musik an vier Orten eine bunte und teilweise durchaus attraktive Auswahl von Zeichnung und Malerei, Collage und Installation geistig oder körperlich behinderter und psychiatrisierter Künstlerinnen und Künstler aus Hamburg, Wien, Berlin, Oldenburg und Kassel. Seit 120 Jahren werden Bilder aus der Psychiatrie analysiert. Von der Gründung des „Museums des Unbewußten“ 1946 in Rio de Janeiro bis zur Auflösung geschlossener Anstalten in Italien in den achtziger Jahren, von der „Sonnenuhr“ in Berlin zum „Haus der Künstler Gugging“ bei Wien erhebt eine reiche Produktion den Anspruch, wahrgenommen zu werden.

Allerdings ist es ein beliebtes Mißverständnis, allein die Anwendung künstlerischer Techniken bereits für Kunst zu halten. Der Beuyssche Satz „Jeder Mensch ein Künstler“ bezieht sich auf die Bedeutung der individuellen Fähigkeiten in jedem Tun, nicht auf die Hoffnung auf Teilnahme am Kunstbetrieb. Kunst ist nicht spontaner Ausdruck von irgendetwas irgendwo latent Vorhandenem (das wäre Offenbarung im religiösen Sinne), sie ist ein historisch und interpersonell vernetztes System von Modellbildung, Produktion und Rezeption, das Aneignungsarbeit erfordert.

Doch die Kunst gesellschaftlicher Außenseiter wird gerne so vermittelt, daß all das als „vorprägender Ballast“ denunziert wird und der Bilderstrom des Unbewußten gelobt wird. Dies geht meist einher mit einer Diskreditierung der Moderne. Van Gogh ist dann bloß noch der irre Maler, der sich ein Ohr abgeschnitten hat. „Verrückte Kunst“ ist wie Werbung und Popmusik selbst keine Kunst. Das klargestellt, kann eine Auseinandersetzung damit auch im Kunstbereich interessant und fruchtbar sein.

Ausstellungen: Kunstverein (bis 29.11.), Schlachthof, Neuer Kamp 30 (bis 23.12.), Evangelische Akademie, Esplanade 15 (bis 15.2.99), Deutsches Schauspielhaus (bis 28.11.). Vortrag/Gespräch/Performance „Wie verrückt ist die Kunst – oder was ist verrückte Kunst?“ im Schlachthof, Schlumper-Ateliers, Sonntag, 14 Uhr. Weitere Infos unter 040-39 90 22 12 .