Grün für die einsame Seele

■ Farbtherapie, Gymnastik und Bachblüten für geschundene Papageien / Der „Papageienfreunde Bremen“ ehrgeiziges Ziel: ein papageienfreies Bremen

Manchmal kreischt es im Keller des Hauses in der Carl-Schurz-Straße recht durchdringend. Jemand aus der Nachbarschaft hat auch schon mal die Polizei gerufen. Doch in der Regel halten sich die Bewohner von Nr. 64 zurück. Krächzen allenfalls „Wat will du?“ oder bellen leise.

Neun Papageien leben im Schwachhauser Papageienasyl, das gleichzeitig und zweitens der Sitz des gemeinnützigen Vereins „Papageienfreunde Bremen und Umgebung e.V.“ ist. Drittens das Philosophierstübchen des freischaffenden Philosophen Hans-Hermann Braune. Und zuletzt und viertens seine und seiner Frau Wohnung. Elisabeth Braune wäre sachlich korrekt, aber nicht hinreichend mit „Papageienmutti“ umschrieben.

Wahrscheinlich träumen die Braunes Träume wie diesen: Da ist ein Schiff. An Bord hocken Tau-sende und Abertausende von zerrrupften und neurotischen Papageien. Am Ruder steht er, Hans-Hermann, graue Mähne, Vollbart. Er ist der Organisator der „Papageienfreunde Bremen und Umgebung“. Elisabeth hingegen, die dunkelhaarige Seele des Unternehmens, eine Kämpferin, die auch Fahnen in den Wind stemmen könnte, wäscht Papageienwunden. Das Schiff fährt nach Brasilien. Sein Ziel: der Urwald. Die Freiheit also. So müssen die Träume von Menschen aussehen, die am Leiden der gepeinigten Natur leiden.

Organisierte Papageienfreunde heißen normalerweise Papageienstammtisch Bayreuth oder Papageienhilfe Aachen, man trifft sich jeden ersten Freitag im Monat in der Gaststätte Zum Clubhaus und bekakelt Relevantes wie den Stockschnupfen beim Gelbbrustara, plötzliche Aggressivitätsschübe bei der Blaustirnamazone oder Sprachprobleme bei Salmonen-Edelpapageien.

Die Papageienfreunde Bremen und Umgebung e.V. sind anders. Wer sich als Papageienbesitzer an die Braunes wendet, kommt mit Gewissensbissen unter zwei Wochen nicht davon. Wer jedoch als Papageienlaie die Braunes trifft, erfährt zuerst einmal, daß seine Definition von Papagei (ein Vogel, der spricht) falsch ist. „Das Sprechen von Papageien ist eine erhebliche Verhaltensstörung, hervorgerufen durch die Einsamkeit der Einzelhaltung dieser natürlicherweise in Schwärmen lebenden Vögel.“

Es haben nämlich die Braunes ein großes Ziel: die Abschaffung der Papageienhaltung an sich, ganz und gar. Papageien, sagen sie, gehören in die Tropen oder Subtropen, brauchen das dortige Licht und die dortige Luftfeuchtigkeit und die Unmengen an Beeren und Obst, mit denen Papageien gerne rumaasen. Und überhaupt ist der Papagei ein Schwarmvogel, der – isoliert vom Schwarm – unglücklich wird. Dann schreit er nervtötend. Und schmeißt sich vor Einsamkeit an den Menschen ran. Fängt an zu sprechen. Toll.

Neun gequälte, vernachlässigte oder einfach falsch behandelte Vögel wackeln im gefliesten Keller auf dem Boden rum, klettern gemächlich auf frische Äste aus dem Bürgerpark, wetzen die Schnäbel oder flattern eine Runde. Frau Braune pflegt sie, traktiert sie mit homöopathischer Medizin, verabreicht Bachblüten, treibt Gymnastik mit den Flugentwöhnten und läßt nichts unversucht, auch wenn sie nicht an alle Mittelchen glaubt. Ja sie bietet den Papageien sogar eine anthroposophische Farbtherapie an, 14 Schaltuhren, Blau bei Nierensachen, Grün „für die einsame Seele“.

Vereinsziele der Papageienfreunde (25 Mitglieder, 100 Papageienadressen) sind Aufklärung und Beratung. Und die Errichtung einer vorbildlichen Freifluganlage in einem alten Gewächshaus, das gerade angekauft wird. Hier wird Platz für 100 Vögel sein, die es gut haben werden. Und hier werden eben nicht nur die Tiere von Papageienschindern auf der Stange hocken. Nein, es werden die Vögel der bekehrten Papageienhalter selbst sein, die hier im Schwarm gehalten werden.

„ENDLICH im Schwarm,“ sagt Frau Braune. Sie ist nicht nur mit Engagement, sondern auch mit Wut bei der Sache, wenn es um Papageienschinder geht oder gegen Züchter, „meine Feinde“. Es sei „abartig, Papageien an Menschen zu gewöhnen,“ schäumt sie aus dem Stand, „Papageien sind Lufttiere, die sich ihren Partner aussuchen!“ Seit 20 Jahren pflegt sie Papageien, entreißt sie bei Noteinsätzen ihren Besitzern, befreit sie „aus Einzelhaft“ und bringt sie in irgendwelchen Schwärmen bei Vertrauenwürdigen unter. „Ich wollte nicht so leben, ich bin da nur reingerasselt,“ sagt die Lehrerin (Deutsch und Geschichte). Reine Gefühlssache. „Ich laß mich so erschüttern.“

Den geistigen Überbau für das Papageienengagement liefert der Herr des Hauses. Der Philosoph schreibt, wenn er sich nicht um Papageien kümmert, Bücher über Gegenstände, über die er sich vielleicht mit einer Handvoll Spezialisten in Deutschland unterhalten kann. Über den Vorsokratiker Paminides und Platons Phaidros-Dialog. „Von Platon kommt meine Einsicht, mich zu engagieren,“ sagt Herr Braune, „das ist praktizierte Philosophie.“ Immerhin geht es bei dem Alten um Naturethik, ja Wiedergeburt. Und einem Philosophen sind natürlich auch Paradoxien vetraut wie die, daß der Papageienverein letztlich an seiner Selbstabschaffung arbeitet.

Wenn denn Deutschland dereinst papageienfrei wäre! Das wäre „das größte Glück“, sagt Frau Braune, die regelmäßig alle frisch gelegten Papageieneier zerstört und durch Gipseier ersetzt. Aber würde die Papageienmutti, die so liebevoll mit ihren Schützlingen umgeht, in diesem Fall nicht dumm dastehen? So ganz ohne Aufgabe? „NEIN!!!“ ruft sie so laut, daß man's glauben muß. „Dann wäre ich endlich frei!!!“ BuS

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