Pampiger Schlamm in heiligen Hallen

In der Kreuzberger Heiligkreuzkirche wurde die zweite Berliner Lehmbaumesse ausgerichtet. Der ökologische Baustoff wird in Berlin vor allem zur Sanierung von denkmalgeschützten Altbauten verwandt  ■ Von Eberhard Schäfer

Wohin man schaut, nichts als Matsch, Modder, Schlick und Schlamm, in allen Farbtönen zwischen hellgrau und dunkelbraun. Gummistiefel sind dennoch nicht nötig. Auch in eleganten Oxford- Tretern konnte man in der heiligen Halle, der Kreuzberger Heiligkreuzkirche, wandeln, wo kürzlich die zweite Berliner Lehmbaumesse ausgerichtet wurde. Die Matschepampe wurde fußgängerfreundlich dargeboten, in Instantform nämlich: als Pulver, fein wie Zuckersand oder auch grob granuliert und vermengt mit Holzspänen, Stroh oder Steinchen.

Bauen mit Lehm: eine fast ausgestorbene Kunst, insbesondere in Berlin und den neuen Bundesländern, wo in den letzten 50 Jahren Platte und Betonmafia ganze Arbeit geleistet haben. Noch steckt die Renaissance des Lehmbaus im Pionierstadium, und so präsentierten sich bei der Lehmbaumesse auch nur rund zwanzig Betriebe, meist Zwei- oder Drei-Mann-Unternehmen, die dieser Tradition zu neuer Blüte verhelfen wollen. Beim Stand der Firma Lehmart etwa ist ein Stück klassisches Fachwerk aufgebaut. In das Gefach, wie man die Zwischenräume zwischen den Fachwerkbalken nennt, bauen die Zimmerleute ein Geflecht aus Weidenruten, und gegen dieses wird schießlich Lehm – wie Putz, bloß von beiden Seiten – in dicker Schicht geworfen. Der Lehm klebt fest (nicht von ungefährt stammt das Wort „Lehm“ von „Leim“ ab) – fertig ist die Fachwerk-Lehmwand in althergebrachter Art. Freilich wird diese Technik heute fast ausschließlich bei der Sanierung alter Bauwerke eingesetzt. Nur die wenigsten Besitzer gediegener alter Bauernhäuser lassen sich den Erhalt der Seele ihrer Anwesen so viel kosten, obschon die auf zahlreichen Fotos präsentierten Ergebnisse zeigen, daß der Aufwand durchaus seinen Preis wert ist. Die meisten Aufträge für das traditionelle Handwerk kommen denn auch vom Denkmalschutz.

Das Mekka der Lehmbaufreaks ist das Städtchen Weilburg im Hessischen. Hier stehen noch heute zwanzig bis zu sechs Stockwerke hohe und 120 bis 150 Jahre alte Lehmhäuser. Dies sind keine Fachwerk-, sondern in Stampftechnik erstellte Massivhäuser. Sehr modern: Wie beim heutigen Betonbau wurde eine Holzverschalung gebaut. Dort füllte man den Lehm hinein und stampfte ihn zu einer festen Masse.

Die Stampfmethode ist auch heute die bei Neubauten am weitesten verbreite Lehmbautechnik. Einige Unternehmen präsentieren ihre wohl anzuschauenden Projekte aus dem Berliner Umland. Meist ist hier Leichtlehm Baustoff der Wahl, das heißt, dem Mansch werden natürliche Materialien wie Rinde, Holzspäne oder Blähton beigemischt.

Bewohner von Lehmbauten rühmen das angenehme Raumklima, einer der vielen Vorzüge, den Bauwerke aus Lehm bieten. Lehmwände reflektieren Wärmestrahlung nahezu komplett. So bleibt im Sommer die stechende Sonnenhitze ausgesperrt; im Winter hingegen bestrahlt die Heizquelle die Wände. Die verteilen die Wärme diffus im Raum und vermitteln den Bewohnern so das Gefühl molliger Behaglichkeit.

Kaum zu schlagen ist der Baustoff Lehm in ökologischer Hinsicht. Eine – energieintensive – Verarbeitung ist nicht nötig. Gebrannte Ziegel oder Beton etwa benötigen die zehn- bis zwanzigfache Energiemenge. Lehm muß kaum transportiert werden. Im Zweifelsfall nimmt man ihn direkt aus der Baugrube, ansonsten von kurz hinterm Dorf – die Adresse „Lehmkuhlenweg“, die man noch heute nahezu in jedem Ort findet, erinnert daran. Schließlich muß man Lehm vom Abbruchhaus nicht auf der Bauschuttkippe entsorgen, sondern kann ihn zu Schlamm verwandeln und wiederverwenden. Angenehm für Häuslebauer ist zudem, daß Lehm im Gegensatz etwa zu Zement und Kalk die Haut nicht angreift.

Entscheidender Nachteil der wertvollen Pampe: Sie ist wasserlöslich, mithin für Außenwände in unseren feuchten Breiten denkbar ungeeignet – die Fassade würde im Regen schlicht wegschwimmen. Doch auch hier gibt es Abhilfe. Rührt man kulinarisch wertvolle Erzeugnisse wie Magerquark oder Leinöl hinein, trotzt der Lehm jeglicher Sintflut. Weniger appetitlich hingegen sind traditionelle Beimischungen wie Kuhmist, Urin oder auch Blut.

Wen dabei Ekel überkommt, der kann sich auf den Innenausbau beschränken. Lehmputz in warmen Farben von Zartrosa über Ocker bis Hellbraun und -grau bietet etwa die auf Lehm-Innenausbau spezialisierte Firma Suite. Das Grundprodukt stammt aus Gruben an geheimgehaltenen Orten überall in Europa. Die Büros in Berlin-Friedenau sind als Musterräume gestaltet, sie bieten ein geradezu sinnliches Erlebnis. Die Wände sehen nicht nur behaglich aus, sondern sind auch taktil sehr angenehm: Die Oberfläche fühlt sich weder spiegelglatt (was Kälte empfinden läßt) noch kratzig-rauh an.