Lebendigkeit auf wackligen Füßen

Kulturämter der Bezirke haben kaum noch Geld für ihre anspruchsvolle und differenzierte Arbeit. Durch die Bezirksreform drohen weitere Einschnitte  ■ Von Katrin Bettina Müller

Im Kunstamt Kreuzberg heulen die Wölfe. Sie laufen durch die Videos des Künstlerduos p.t.t.red als letzte Zeugen einer verlorenen Wildnis. Die Einladung der beiden Kreuzberger Künstler gehört zu den wenigen Projekten, die das Kunstamt Kreuzberg dieses Jahr allein aus seinem geschmolzenen Etat finanzieren konnte. Für alle übrigen Ausstellungen, wie etwa die Vorstellung der Künstler, die mit einem Senatsstipendium von Berlin nach Istanbul gereist waren, brauchten die Kreuzberger Partner, die sie im Kunstverein NGBK oder beim Senat fanden. Denn seit 1990 sind ihre Mittel für Ausstellungen um die Hälfte auf 40.000 Mark geschrumpft.

Schon lange schrillen die Alarmglocken der bezirklichen Kulturarbeit. 1996 ließ die Senatsverwaltung für Kultur das erste Mal einen Bericht auflegen, der die Etatkürzungen seit 1993 statistisch zusammenfaßte. Fast alle Kunst- und Kulturämter der 23 Bezirke Berlins haben seit der Wende bis zur Hälfte ihrer Mittel und mehr verloren. Die aktualisierte Auflage des Berichts wird Ende November dem Abgeordnetenhaus vorgelegt.

Doch politische Folgen, die über Bestürzung hinausgehen, hat die Bestandsaufnahme bisher kaum gehabt. Verantwortlich für die Einsparungen in der kommunalen Kulturarbeit sind die Bezirke, und die beurteilen den Wert ihrer Kunst- und Kulturämter sehr unterschiedlich. Ein übergreifendes Konzept, die differenzierte Stadtteilkultur als Basis der Metropolenwerdung zu stützen, fehlt.

Eine Stärke der bezirklichen Kulturarbeit lag bisher in der Unterschiedlichkeit ihrer Angebote, die oft aus dem Standort, Geschichte und ihrem Ruf Kapital schlagen konnten. In Treptow zum Beispiel war das Parkhaus, eine alte Stadtvilla, schon zu DDR-Zeiten für seine Jazzkonzerte bekannt. Seit Beginn der neunziger Jahre hat dort zu Low-Budget-Bedingungen eine Subkultur Chancen erhalten, die den Kunstdiskurs Ost und West mit immer neuen Instrumenten zu beackern sucht.

Im Schöneberger Haus am Kleistpark liegt ein Schwerpunkt des Programms auf der Vermittlung von Kunst und Erinnerung. Die Geschichte des Bayrischen Viertels und seiner vertriebenen jüdischen Bevölkerung wurde zum Ausgangspunkt einer produktiven Auseinandersetzung mit Formen der Vergegenwärtigung, die weit über Gedenkrituale hinausgehen. Obwohl das Kunstamt Schöneberg in der finanziellen Ausstattung zu den Schlußlichtern Berlins gehört, wurden dort Modelle für die Moderation der historischen Erinnerung entwickelt, wie sie in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal nie geleistet wurden.

Im Hohenschönhausen hat sich das kleine Mies-van-der-Rohe- Haus auf die Nachfolge der konstruktiven und konkreten Kunst spezialisiert. Ein Besuch in der Fotogalerie am Helsingforser Platz gleicht dagegen oft einem Kinoabend. Es wimmelt von Geschichten in den Bildern der Dokumentarfotografen, von denen sich nicht wenige mit der Vergangenheit der DDR und den Veränderungen seitdem befassen. Beide Galerien füllen damit Lücken der musealen Kunstgeschichten der Stadt.

Am weitesten gespannt ist das Netz der Kooperationen im Haus am Waldsee. Als 1996 der Veranstaltungsetat des Kunstamtes Zehlendorf mitten im Jahr um ein Drittel gekürzt wurde, gelang es der Kunstamtsleiterin Barbara Straka, mit den verbliebenen 2.500 Mark und viel ehrenamtlichem Einsatz eine Retrospektive über die Geschichte des Hauses aus dem Keller auszugraben. Schon in der frühen Nachkriegszeit etablierte sich das Haus mit Ausstellungen von Picasso, Miró und Henry Moore.

„Die Vernetzung ist für uns lebensnotwendig“, sagt Barbara Straka, auf deren Liste zukünftiger Partner für 1999 die neu eröffnenden Botschaften Finnlands und Schwedens stehen. Dennoch will sie die kommunale Anbindung nicht in Frage stellen, denn der Bezirk gewinne durch die Internationalität des Programms.

Als die Kunstämter im Zuge der Berliner Verwaltungsreform aufgefordert wurden, ihre Arbeit in Produktkatalogen darzustellen, empfand Straka dies teilweise als „heilsamen Prozeß: Man lernt, daß es für jedes Angebot eine Zielgruppe geben muß. Zwar hat auch ein kulturkritisches Thema eine Zielgruppe, aber die ist vielleicht nur klein. Dann kann ich mir ein solches Projekt eben nur einmal im Jahr leisten und muß die anderen Ausstellungen für größere Gruppen planen.“ Doch neben diesen Glanzlichtern, die nur funktionieren, weil die Phantasie in der Einwerbung von Drittmitteln gewachsen ist, wird Basisarbeit geleistet, für die Sponsoren kaum zu gewinnen sind. Daß die Förderung der kulturellen Infrastruktur mehr als eine Frage des Image ist, begreifen viele Bezirke nicht, die wie in Tempelhof, Wedding und Wilmersdorf die Kunstämter vertrocknen lassen. Dort liegen die kommunalen Kulturausgaben, pro Kopf der Bevölkerung umgerechnet, unter einer Mark. In Schöneberg und Kreuzberg mußte man 1997 mit 1,18 Mark pro Kopf auskommen, in Neukölln mit 1,57 Mark. Der unerwartete Ausreißer findet sich am Ende der Liste mit 9,98 Mark in Prenzlauer Berg.

Daß dort der Kulturetat zwischen 1993 und 1997 überhaupt gestiegen ist, hängt mit einer Umverteilung im Haushalt 1996 zusammen. Damals lief die ABM-Förderung von vielen freien Trägern aus. „Wir haben es geschafft, von dem Batzen, der deshalb für den Sozial- und Jugendbereich zur Verfügung gestellt wurde, 500.000 für die Kultur abzuzweigen“, erzählt Andrea Gärtner, Leiterin der Kulturamtes Prenzlauer Berg, „weil die Politiker hier verstanden haben, daß das ein ganz wichtiger Bereich ist für die Lebendigkeit des Bezirks.“ Gefördert werden Gruppen, Künstler und Initiativen, die in der Nachwendezeit mit eigener Kraft langjährige Defizite der Kultur im Osten bearbeiteten: wie die Tanzschule und Bühne Dock 11, die Tanztage Pfefferberg, die Programme der Galerie O Zwei, eine offene Kunstwerkstatt für Kinder und Jugendliche, Ausstellungen im Wasserspeicher oder die Literaturreihe der „Sklaven“. „Da war ein Schub in Gang gesetzt worden, der dem Bezirk auch viele Synergieeffekte gebracht hat.“

1998 schien zwar die Talfahrt der bezirklichen Kulturausgaben gebremst, doch die nächste Bedrohung steht mit der Bezirksgebietsreform 2001 an. Daß dann Unterschiede verwässert werden und spezifische Kulturangebote einer reinen Stellenrechnerei zum Opfer fallen, ist allgemeine Befürchtung. Jetzt heißt es aufpassen, wohin der Hase läuft. Um der Gleichschaltung zu entkommen, suchen viele der Ämter jetzt abzustimmen, wo man sich unterscheidet und welche Angebote zusammengehen können. „Das könnte sogar eine Chance sein, Defizite abzubauen“, wagt Andrea Gärtner zu hoffen, „wenn nicht die Stellen derer, die den Prozeß gestalten sollen, weggekürzt werden.“