Kern der Kontroverse verschleiert

betr.: „Diepgen und Islamisten wollen Religionsunterricht“,

taz vom 2. 11. 98

Die Überschrift suggeriert, es gäbe eine Auseinandersetzung zwischen denen, die sich für einen islamischen Religionsunterricht einsetzen, und (atheistischen) Gegnern eines solchen Unterrichts. Ein derartiger Eindruck verschleiert den Kern der Kontroverse zwischen Befürwortern und Kritikern des Urteils, mit dem das Berliner OVG der Islamischen Föderation den Status einer Glaubensgemeinschaft zuerkannt hat, wodurch diese als einzige Organisation die Voraussetzung erfüllt, um islamischen Religionsunterricht an den Berliner Schulen zu erteilen.

Die Kontroverse dreht sich vielmehr um die unterschiedliche politische Einschätzung der Islamischen Föderation, die seit Jahren den Verdacht, sie sei eine Nebenorganisation der Milli Görüș, die eng mit islamistischen Parteien in der Türkei verknüpft ist, nicht glaubwürdig ausräumen konnte. Von der Klärung dieser Frage würde jedoch alles abhängen. Sollte tatsächlich eine personelle und/oder organisatorische Nähe zur Milli Görüș gegeben sein, hätte das OVG mit seinem Urteil einer politischen Organisation, die eindeutig antiwestliche, antidemokratische und antisemitische Gedanken vertritt, die Türen der Berliner Schulen geöffnet.

Wie der mündlichen Begründung des Urteils zu entnehmen ist, „bekennt (der Verein) sich nach seiner Satzung zum Grundgesetz und zur Verfassung von Berlin ...“ Wundert das? Hatte wirklich jemand angenommen, eventuelle verfassungswidrige Ziele seien ausführlich in der Satzung ausformuliert?

Die beklagte Senatsschulverwaltung muß sich den schwerwiegenden Vorwurf machen lassen, daß sie die Tragweite der gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Islamischen Föderation auf fatale Weise unterschätzt hat.

Argumentativ war sie offensichtlich nicht ausreichend vorbereitet und dementsprechend zeigte auch ihr Vertreter in der Verhandlung nicht die nötige Sachkompetenz. In der mündlichen Begründung steht: „Auch der Beklagte hat nicht behauptet, daß ... in Wirklichkeit etwa verfassungsfeindliche Zielrichtungen verfolgt würden.“ Leider! Und genau dieser Tatsache ist nun zu verdanken, daß die berechtigte Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht durch vielerlei Bedenken und Ungewißheiten negativ belastet und diskreditiert wird. Sanem Kleff,

Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,

Bundesausschuß Multikulturelle Angelegenheiten