„Familiengeschichten. Belgrad“ im Malersaal

Vater, Mutter, Kind und drei Teller Suppe. Nein, ich esse meine Suppe nicht, gegessen wird, was auf den Tisch kommt, undankbarer Bengel. Undank ist der Welten Lohn. Frau, Deine Suppe schmeckt wirklich nicht, willst du mich vergiften. Gefahr lauert überall. Hier haben die Wände Ohren. Was macht der kluge Mann? Kopf in den Sand, Arsch an die Wand. Ich habe ihn gezeugt, da kann ich ihn auch umbringen.

Vater, Mutter, Kind, drei Teller Suppe. Rundherum eingemauerte Mülltonnen, in stalinistisch geschlossenen Reihen tristester Höfe trister Plattensiedlungen. Eine Sandkiste und eine betongegossene Tischtennisplatte sind auch da, doch die Sonne wird in Raimund Bauers Bühnenbild trotzdem nie scheinen. Hochhäuser sind hoch, wir sind ganz unten. Die Kinder, die aus der Schule kommen, spielen Familie, und die Englisch-Hausaufgaben deuten auf ein weiteres, ihnen aus Erfahrung bekanntes semantisches Feld: war, victim, grave. Überall lauert Gefahr, hat man dem Jungen eingeimpft. Er begreift das als eine Art Handlungsanweisung. Nach der Suppe übergießt er seine Eltern mit Benzin und jagt sie in die Luft.

Familiengeschichten. Belgrad lautet der lakonische Titel von Biljana Srbljanovics zweitem Theaterstück, das im April in der serbischen Hauptstadt uraufgeführt wurde und nun in deutscher Erstaufführung unter der Regie von Anselm Weber im Malersaal gezeigt wird. Die 28jährige Autorin läßt darin in ca. fünf Variationen einen Jungen seine Eltern ermorden, wobei alle Attentate nur Kinderspiele im Hof sind. Das Publikum befindet sich in der schwierigen Situation, auf der Bühne erwachsene Schauspieler zu sehen, die Kinder spielen, die Erwachsene spielen. Darüber solle man sich nicht wundern, empfiehlt Srbljanovic im Programmheft, weil man sich über genügend andere Dinge wundern könne. Das ist hübsch hintersinnig, hat aber im Moment des Schauspiels keine Gültigkeit. Denn auch wenn die Inszenierung einige sehr dichte Momente hat, wundert es sehr wohl, wenn Elfjährige sagen: „Der Asphalt tut sich auf, und ich versinke.“ Wenn ihre Sprache die von Erwachsenen ist, fragt man sich, warum sie wie Kiddies hampeln sollen – außer natürlich, weil von Krieg und Leben vergewaltigte Kinder immer eine Nummer tragischer sind. Entsprechend gab es bei der Premiere am Freitag keine Bravos, aber anhaltenden, betroffenen Applaus. Christiane Kühl