Umwertung

Alles ist Tragödie. Das Schauspiel gleich der Politik. Den Eindruck mußte der denkende Mensch bekommen, der gestern Michael Naumanns Laudatio auf Elisabeth Schwarz lauschte, die im Thalia Theater mit dem Rita-Tanck-Glaser-Schauspielpreis geehrt wurde. Die 1936 in Stuttgart geborene Künstlerin, die u.a. in Stuttgart, Frankfurt, München und Berlin spielte, bevor sie 1985 ans Thalia Theater kam, erhielt die Auszeichnung für ihre „darstellerische Leistung, die die Kultur der sprachlichen Gestaltung auf Hamburger Bühnen“ gefördert habe. Der Staatsminister für Kultur ließ es sich nicht nehmen, bei dieser Gelegenheit auf „die beiden Pole des deutschen Theaters: Ensemble und Repertoire“ zu verweisen, womit er bestimmt die Standbeine meinte – als entgegengesetzte Extreme kann man Ensemble und Repertoire nämlich nicht bezeichnen. Aber Naumann scheint im Theaterbereich überhaupt etwas grün hinter den Ohren. Als er neulich Schwarz ganz zornig auf der Bühne sah, mußte er sich fragen: „So eine zarte Person – wie ist das möglich?“ Statt einer Antwort gelang ihm acht Wochen nach der Wahl die Umwertung der Werte: Daß Schwarz sich „der Sprachzerstörung der Jungen“ verweigere, könne man konservativ nennen – das aber sei heute das „eigentlich Rebellische“. Wenn das keine Tragödie ist. ck