Die Suche nach einem Toten

■ Erst als Waldemar R. bestattet war, erfuhr die Familie vom Tod / Niemand hatte die Verwandtschaft ausfindig gemacht, obwohl sie nur ein paar Kilometer entfernt wohnte

Als Eugenia P. den Brief des Nachlaß-Gerichtes Bremen bekam, fiel sie aus allen Wolken. Ihr Bruder Waldemar R. sei am 13. Oktober in einem Bremer Krankenhaus gestorben. Ob sie das Erbe annehmen wolle? „Ich war so geschockt – als wenn man mir ein Bein abgetrennt hätte“, sagt die 67jährige. Daß ihr Bruder gestorben war, wußte sie bis dahin nicht. Die Bestattung, so das Gericht, hatte schon stattgefunden. Seitdem der Brief kam, versucht sie herauszubekommen, wo ihr Bruder beerdigt ist. Ohne Erfolg.

„Wir hatten regelmäßigen Kontakt, mindestens einmal im Monat habe ich ihn besucht“, sagt Eugenia P. Von Vernachlässigung der Beziehung könne keine Rede sein. Als sie vor drei Wochen mit warmem Essen zu seiner Wohnung in der Rembertistraße kam, wartete sie eine Weile bei der Nachbarin, daß er nach Hause käme. Doch da war er schon längst tot. Ohne zu wissen, was passiert war, zog Eugenia P. wieder ab. Bald darauf kam der schockierende Brief.

Im St. Joseph-Stift erfuhr die Familie immerhin soviel: Waldemar R. war am 9. Oktober vor seiner Haustür gestürzt und in das katholische Krankenhaus eingeliefert worden. Diagnose: Beckenbruch. Vier Tage kämpfte der 73jährige in Zimmer 3206 um sein Leben, am 13. Oktober starb er – an einer Lungenembolie, wie die Familie inzwischen recherchierte. In seiner Krankenakte sind keine Verwandten angegeben. Auch in seinen persönlichen Sachen, so scheint es, war kein Hinweis auf Verwandte. Keine Behörde, kein Krankenhausvertreter suchte in seiner Wohnung nach Adressen von Angehörigen. Doch schon die Nachbarin Frau Müller hätte mit Adressen aushelfen können.

Die kafkaeske Geschichte nahm ihren Lauf. Seit dem 23. Juni 1998 schreibt ein Bremisches Gesetz vor, wie Krankenhäuser zu verfahren haben, wenn keine Verwandten eines Toten aufzutreiben sind: Der Leichnahm ist in das Institut für Rechtsmedizin beim Krankenhaus St. Jürgen-Straße zu überführen. Dort wird er zehn Tage lang aufgebahrt. Das Institut benachrichtigt einen Nachlaßpfleger, der die Verwandten ausfindig machen soll. Sonst wird der Körper bestattet – anonym. Genauso geschah es mit Waldemar R., obwohl die Familie nur ein paar Kilometer entfernt lebt.

Was nach Darstellung der Familie geschah, als sie nach der letzten Ruhestätte zu suchen begann, wirft die Stirn in fragende Falten. Bei Gericht teilte man mit, sie müßten sich an das Krankenhaus wenden. Doch im Institut für Rechtsmedizin, so die Nichte des Verstorbenen, berief man sich auf die Schweigepflicht. „War das denn Rechtens?“, fragt sie sich immer noch und versteht die Welt nicht mehr.

Im Institut für Rechtsmedizin Am Schwarzen Meer scheint man sich an den Fall zu erinnern: „Die Angehörigen haben sich nicht um die Beerdigung gekümmert“, sagt eine Mitarbeiterin. Ansonsten keine Auskunft. Wie auch? Fragt die Familie weiterhin, sie habe ja nichts von dem Tod gewußt. Bei Gericht wird jetzt darauf hingewiesen, daß die Familie Akteneinsicht beantragen könne. Das Bestattungsinstitut ist offenbar doch in den Akten zu finden. Und auch im Krankenhaus findet man schließlich doch noch etwas heraus: Am 23. Oktober habe ein Bestattungsinstitut den Toten abgeholt und im Krematorium Huckelriede verbrannt. Die Asche wurde auf einem Gräberfeld ohne Namenssteine auf dem Friedhof Huckelriede begraben. Die Chancen, die Urne wiederzufinden, stehen schlecht: Dort ist Platz für 6.000 Tote.

Christoph Dowe