Und hoch die Tassen

■ Schrill und verwegen: „Das wilde Fest“ von Daniel Fischer im KammerTheater 22

Die Party steigt zu Zeiten der Prohibition. Eine hübsche Idee, den halben Raum mit Weinflaschen auszufüllen (Bühne: Kathrin Samuel). Leider sind sie schon leer, was gerade das Premierenpublikum bedauerte. Auf den Flaschen sitzen die Musiker. Die eigens für das Stück komponierte Musik verbindet Elemente des klassischen Hot Jazz mit Varianten moderner kubanischer Percussion. Marco Pflaum, Andreas Zehrt und Ullrich Scheibele schaffen schwülstige Jazzkeller-Atmosphäre.

„Das wilde Fest“ ist ein Jazzgedicht, eine schrille Geschichte, die Joseph Moncure March 1926 geschrieben hatte. Damals ernte er jedoch damit keinen Ruhm: Zu skandalös war der offene Umgang mit Drogen und sexuellen Orientierungen.

Das aber macht das „wilde Fest“ zeitgemäß, die Probleme sind – auch Generationen später – die gleichen geblieben. Vielleicht hat Daniel Fischer gerade deshalb das Stück als vierte Produktion des von ihm 1995 gegründeten „KammerTheater 22“ auserkoren. Fischer hat das Jazzgedicht sozusagen ausgegraben und für die Bühne umgearbeitet, erstmals ist es jetzt in Berlin zu sehen.

Das wilde Fest ist längst vorbei, Wochen später treffen sich vier Partygäste wieder. Wie das so ist, wird alles noch einmal durchgehechelt. Dabei verschwimmen nach anfänglicher nüchterner Spurensuche immer mehr die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Realität und Spiel. Die Damen und Herren spielen die Party noch einmal, und wir dürfen dabeisein: Da ist Gastgeberin Queenie, Nachtclubtänzerin, mit Clown Burrs liiert. Weil die Liebe ein bißchen monoton geworden ist, soll die Party für neuen Pep sorgen. Das klappt auch, nur anders als erwartet. Illustre Gäste treffen ein. Zwielichtige Gestalten, Halbganoven, zwei singende Tunten, der vorbestrafte Eintänzer Jackie, die schöne Lesbe True, ein wohl leicht bekloppter Boxer und die lüsterne Kate. Und wie im richtigen Leben eben, kommt (je später der Abend, desto...) Black, ein Bild von einem jungen Mann. Frischfleisch, ein bißchen naiv, aber sooo sexy. So kommt es im Laufe der Nacht erst zu Küssen, dann zu mehr. Gastgeberin Queenie schmilzt dahin. Dahin ist am Ende auch Burrs (Daniel Fischer). So schön hat man selten zuvor eine Leiche am Boden liegen sehen.

Die Inszenierung hat einige wunderschöne Einfälle. Wenn etwa Moi Horlemann als Vamp mit herrlich rauchiger Stimme und Natascha Petz als sinnliche Femme fatale gemeinsam, sozusagen als doppelte Queenie, nach Burrs rufen. Und der Angesprochene gleichfalls zweifach antwortet: Der eine (Daniel Fischer) schreit „Schlampe!“, und der andere (Alexander Stamm) stöhnt ganz einfach vor sich hin. Oder wenn Queenie als zum Niederknien schön beschrieben wird, alle prompt ihren kleinen roten Teppich entrollen und auf die Knie gehen. Und wie Daniel Fischer als Black einen Handkuß von Queenie empfängt, ist amüsant und erinnert an Stummfilmszenen mit ihren übertriebenen Gesten. Bei all dem jonglieren die vier mit der Sprache, sprechen zu zweit, zu viert im Chor, singen und werfen sich staccato-gleich einander Worte und halbe Sätze zu. Das „wilde Fest“ ist sehenswert, auch wenn sich manchmal Schwächen einschleichen, was die Führung der Schauspieler anbelangt. Andreas Hergeth

Bis zum 30.11., immer Mi–So, 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16