Über das Schürfen geheimnisvoller Mythen

■ Die Britin Lindsay Cooper ist eine der wenigen Filmkomponistinnen und zur Zeit in Berlin zu Gast. Die kleine Retro im Arsenal zeigt Filme, zu denen sie die Musik komponierte

Eine Guckkastenbühne mit Häuschen. Puppenstube und Holzfällerheim in einem. Mitten in Kulissenweiten, die mit Steinen, verstreuten Felsbrocken und Kunstschnee an die Genrefilme über das Schürfen am Klondike und andere frühamerikanische Mythen denken lassen. Mal steht die junge Frau mit starrem Stummfilmblick auf der Bühne, mal sitzt sie plötzlich im Publikum, ganz allein zwischen hüstelnden Claqueuren. „Gold Diggers“ (1983, Regie: Sally Potter), zu dem Lindsay Cooper die Filmmusik schrieb, ist ein in puristischem Schwarzweiß inszenierter Kunstfilm über grob gesagt Geldströme, Bankgeheimnisse und die kommerzielle Domestizierung weiblicher Schönheit.

Dröhnende Männerchöre verfolgen die zwei Heldinnen, treiben sie durch die Weiten Islands und nach Mitternacht übers glitschige Pflaster zugiger Gassen. Erstens wäre da Celeste (Colette Lafont), schwarze Datentypistin, deren Arbeitsgeräusche elektronisch klappernd subtil mit dem Soundtrack verschmelzen. Zweitens Ruby, gespielt von Julie Christie, eine ikonographische Schöne, die musikalisch das Gegenthema vorgibt. Düster, dräuend, unheilverheißend und immer am Identitätsthema zugange, wie es sich für einen Klassiker der feministischen Filmgeschichte schickt.

Die Zusammenarbeit von Lindsay Cooper und der Regisseurin läßt sich an als rhapsodisches Musical, das mittels Potters stringentem Schnitt von einem symbolträchtigen Tableau à la van Dyck zum nächsten oszilliert.

Diese wohl bekannteste Filmmusik von Cooper ist zugleich ein Abriß ihrer musikalischen Bandbreite und musikalischen Vita. Die 1951 in London geborene Fagottistin, Saxophonistin und Komponistin, Absolventin des Londoner Konservatoriums, spielte ab 1974 bei der Band „Henry Cow“. Hier wurde Avantgarderock gespielt, oder, wie Cooper meint, „wir schrieben absichtlich Stücke, die eigentlich unspielbar waren“. In den Achtzigern war sie u.a. Musikerin bei der Popcombo „Marx Bros.“, der „Feminist Improvising Group“ und dem Mike Westbrook Orchestra. Klassiker wie Nino Rota waren ihre Vorbilder in der Filmarbeit. Typisch für Cooper ist ihre stilistische Mischung aus traditionellen Jazz-Figuren, klezmerähnlichen Klängen und Elementen Neuer Musik.

„Amy!“ (1980), ein Kurzfilm der Filmwissenschaftlerin Laura Mulvey, vereint auf der Tonspur die Frauen-Punkband „X-Rax Spex“ und Coopers jazzlastige Kompositionen und widmet sich dem Leben der legendären Pilotin Amy Johnson. Eine Besonderheit ist Coopers völlige Neuorchestrierung des frühen Stummfilms „Back to Gods Own Country“ (1919), der Filmpionierin Nell Shipman.

Ganz im Stil der musikalischen Einzelbild-Kommentierung verfaßt und mit strenger Widerkehr von Melodiefragmenten hat die Komposition dabei durchaus Bestand ohne den Film. Cooper orientiert sich bei der 1995 entstandenen Arbeit zwar an der Handlung, einer Schiffspassage, langen Natureinstellungen und den Wirrnissen einer Liebesgeschichte, aber gelegentlich ist der Soundtrack stärker als die schlichte Geschichte, die Shipman auf die Formel „Bad Man Wants Girl, Good Man Loves Girl, Saves Girl“ brachte.

Neuere Filmmusiken und CDs widmeten sich beispielsweise dem Krieg in Kroatien, wie „The Blood Thats In You“ (1993). „Pia Mater“ (1998) dagegen, ist in besonderer Weise persönlich, da sie die Erfahrungen der Komponistin mit dem Komplex der Krankheit Multiple Sklerose miteinbezieht. Cooper selbst bezeichnet „Pia Mater“ als ihre komprimierteste und beste Arbeit. Gudrun Holz

Lindsay Cooper, Filmkompositionen, bis zum 25. November im Kino Arsenal, Welserstraße 25