Strahlend neue Bitterkeit

■ Kein Mann für die Kameras: Der amerikanische Singer/Songwriter Elliott Smith mit Musik aus dem Wasteland im Berliner Knaack-Club

Das hatte man schon lange nicht mehr erlebt: Daß sich wegen eines Musikers aus dem amerikanischen Singer-/Songwriter-LoFi-Underground die Leute vor einem Club vergeblich die Beine in den Bauch stehen würden. Ausverkauftes Konzert, ruft der gestreßte Betreiber des Berliner Knaack-Clubs den Wartenden zu, nur noch Leute mit Karten!

Das Wasteland, wie man Musik aus dem unglamourösen amerikanischen Indie-Underground mittlerweile gern mal nennt, hat wieder einen Helden, auf den sich mehr als ein paar verlorene Seelen einigen können: Elliott Smith. Natürlich gibt es ganz handfeste Gründe für den Zuspruch, den der aus Portland/Oregon stammende und dort jahrelang im lokal Verborgenen arbeitende Smith momentan bekommt: Der Song „Miss Misery“, den er für den Soundtrack des Films „Good Will Hunting“ geschrieben hat, die darauf folgende Oscar-Nominierung mitsamt Live-Auftritt bei der Verleihung, vier Alben, die innerhalb eines halben Jahres in Europa veröffentlicht wurden.

Doch eigentlich ist es erstaunlich, fast ein bißchen unerklärlich, wie sich plötzlich nicht unbedingt nur die Rockwelt auf einen Musiker stürzt, dessen Songs genauso wie sein Auftreten alles andere als kompatibel erscheinen für eine größere Öffentlichkeit. So leicht läßt der sich nämlich nicht ins Herz schließen, und hat man das einmal getan, ist das eher was für allein und zu Hause. Musik wie die seine teilt man ungern mit anderen.

Elliott Smith ist ein ernster und schüchterner junger Mann, er erinnert an den vor ein paar Jahren allerdings nur in Indie- und LoFi- Kreisen hochgeschätzten Palace Brother Will Oldham. Kein Mann für Kameras und Fernsehen, sondern einer, der unseren Fotografen Owsnitzki zu Aussprüchen verleitet wie „Der bewegt sich nicht, der verzieht fast keine Miene, das ist ja die Hölle, den zu fotografieren!“ Ein Haarschnitt, der eine Pilzfrisur sein könnte, wahrscheinlich aber gar keiner sein soll, die Haare selbst strähnig und fettig, in Rolling-Stones-T-Shirt (!) und Jeans: So tritt Smith in Berlin auf, zusammen mit einem Bassisten und einer Schlagzeugerin.

Seine intimen, mitunter brüchigen, an neue Bitterkeiten gemahnenden Songs funktionieren in dieser Besetzung hervorragend. Sie lassen weniger an einsame und depressive Folkmusiker als an hell strahlende Popbands wie die Beatles oder Big Star, wie die dBs oder Built To Spill denken. Keine Spur davon, daß sich Smith, wie es zuletzt öfter hieß, wegen der besseren Produktionsbedingungen und dem Einsatz von Streichern und Pianos gewollt-ungewollt an die Industrie verkauft habe und mit dem Album „XO“ seinen rauhen und spröden Charme schon verloren hätte.

Selbst seine zerbrechlich wirkende und hohe Stimme klingt live kräftiger als auf seinen Platten. Smith, der nicht das Gefühl vermittelt, sein Stones-T-Shirt sei ironisch gemeint, macht einen leicht grimmigen und in sich versunkenen Eindruck, er ist völlig auf seine Musik konzentriert.

Um so unangenehmer für ihn, daß er Probleme mit Technik und Anlage hat, nach mehreren Hinweisen in Richtung Mischpult verläßt er sogar die Bühne, gefolgt von seinen irritierten Mitspielern. Ein Perfektionist, wie es scheint, denn der Sound ist einigermaßen transparent, die lyrics sind gut zu verstehen. Smith aber bleibt unwirsch, viel zu schnell ist das Konzert zu Ende, man scheint sich nicht einig geworden zu sein. Ein etwas unvermitteltes Ende, das aber gut zu einem Musiker mit solch einer zurückhaltenden Ausstrahlung paßt. Gerrit Bartels