■ Oskar Lafontaine und Christa Müller sind zum Sündenbock bzw. zur Sündenziege der deutschen Mediendemokratie avanciert
: Im Schatten des Schattens

Where are all the 68ers gone, wo sind sie geblieben? In den deutschen Medien jedenfalls nicht, trotz jahrelanger Jeremiaden über ihre angebliche kulturelle Hegemonie. Plötzlich sind sich Bild und Bunte, Spiegel und Süddeutsche einig wie selten, daß diese neue Regierung schon jetzt versagt hat, hoffnungslos zerstritten ist etc. pp. Der Hauptschuldige, auch da sind sich alle einig, heißt Oskar Lafontaine: „Die Machtmaschine“ (Die Woche), „Schröders roter Schatten“ (Der Spiegel), „der Weltverbesserer“ (Stern), „The Man to See“ (Newsweek), „der Souffleur“ (Der Spiegel). Vergessen wir mal die dahinterstehenden politischen Themen – Steuerreform, Zinssenkung, Wechselkurse – und schauen uns die Sprachbilder an. Bilder mit mächtiger Suggestionskraft, direkt aus der Hexenküche der klassischen Verschwörungstheorie: Lafontaine, der rote Teufel, undurchsichtig, machtbesessen, eiskalt, will die Welt nach seinem Willen und seiner Vorstellung formen.

Verschwörungen kann man aber nicht allein veranstalten. Mit irgendwem muß er doch den Satansschwur abgelegt haben? Richtig! Mit Christa Müller! Die ist nicht nur „der Schatten des Schatten des Kanzlers“ (Die Zeit), sondern zudem attraktiv, selbstbewußt, intelligent. Aber die deutsche Journaille, allen voran Die Wirtschaftswoche, entlarvte die Hexe: Die Ökonomin sei schon im Saarland „nicht als Landesmutter aufgetreten“, schreibt sie in ihrem Dossier über Lafontaines „Küchenkabinett“ (sic!), schließlich sei sie eine seiner wichtigsten „Berater oder ,Büchsenspanner‘“. Büchsenspanner? Ach so: Sie versuche, „die Frankfurter Bundesbank gemeinsam mit ihrem Mann mit einem Sperrfeuer von Vorwürfen sturmreif zu schießen“. Klarer Fall von Flintenweib.

Was sind denn das für Phantasien? Warum haben erwachsene Männer so etwas nötig?

Erster Erklärungsversuch: Hier geht es um knallharte Wirtschaftsinteressen. Um den ungeliebten Keynesianer Lafontaine zu diskreditieren, wird er als Modernisierungshindernis dargestellt, als Vertreter einer hoffnungslos veralteten Schule, eben als vorgestriger „Weltverbesserer“. Mag ja sein, daß das eine oder andere Konzept des Finanzministers nichts taugt. Aber noch weniger taugt das, was uns neoliberale Apologetiker als globales Rezept anpreisen. Die ostasiatische Krise mit dem Massenelend in ihrem Gefolge beweist: Rückwärtsgewandt, antidemokratisch und menschenverachtend ist der Neoliberalismus selber. Und: Es gibt keinerlei „moderne“ Antworten auf die Krise der Arbeitsgesellschaft und der Weltwirtschaft. Japan legt, verzweifelt, nun das größte keynesianische Programm seiner Geschichte auf.

Zweiter Erklärungsversuch: Mit Kanzler Kohl war die Welt noch in Ordnung. Er war gemütliche Autorität, Regierungschef und Parteichef, alles in einer Person. Doch das Duo Schröder/Lafontaine irritierte die vorwiegend männliche Politjournaille vom ersten Tag seines Bestehens. Einer muß doch der Chef sein! Das muß doch eine unerträgliche Konkurrenz sein! Ist doch klar, daß Lafontaine lieber EU-Ratspräsident werden will, wo er doch schon nicht Kanzler werden durfte! Alles, was kleine Jungs schon auf dem Schulhof über männliche Hierarchiebildung lernen, wird nun auf die beiden projiziert. „Der Kanzler und sein Schatten“ titelt der Spiegel und fragt: „Doch wie lange hält die Partnerschaft des Spitzenduos? Wann endet die schwer erträgliche Harmonie und beginnt der offene Kampf um die Macht?“ „Schwer erträglich“ ist die Harmonie also. Wobei sich in den Zeiten der Mediendemokratie die Frage, wie sich die beiden wirklich vertragen, irgendwann ins rein Theoretische verflüchtigt. Wirklich ist das, was die Medien nur lang genug behaupten. Daß Lafontaine von der Presse genervt ist, beweist ihr wieder nur, daß sie recht hatte.

Dritter Erklärungsversuch: Mit der Hexisierung Christa Müllers werden weibliche Machtansprüche abgewatscht. Rot-Grün ist immerhin vor allem von weiblichen Wählern an die Macht gehievt worden – nicht nur, aber nicht zuletzt in der Hoffnung auf mehr und bessere Politikerinnen in Spitzenpositionen. Doch so schnell, wie die Männer die höchsten politischen Posten unter sich aufteilten, konnten die Frauen gar nicht gucken. Nun aber wird dem staunenden Publikum suggeriert: Hier ist sie doch, eure deutsche Hillary-Müllery, die wirkliche Kanzlerin, die ihre Puppe Oskar tanzen läßt – und der wiederum seine Puppe Gerd.

Im alten Europa hatte der König in der Phantasie seiner Untertanen stets zwei Körper: seinen normalen sterblichen und einen gleichsam astralen, der unsterblich war und das Volk oder die Nation verkörperte.

Die parlamentarische Demokratie hat diese Tradition nicht abgeschafft, sondern mit der Idee der Repräsentanz des Volkswillens nur modernisiert. Kanzler und andere Regierungsmitglieder sind nach wie vor beliebte Projektionsflächen für gesellschaftliche Zustände. An dem Status von Politikergattinnen ist mühelos der Stand der weiblichen Emanzipation im Lande abzulesen. Ihr Körper wird zum Terrain für Geschlechterkriege.

Christa Müller ist eigentlich die Zurückhaltung in Person. Sie, die das Zeug hätte, selbst Ministerin zu werden, hat geradezu klassisch zugunsten ihres Mannes auf ihre eigene Karriere verzichtet, „weil sofort der Verdacht aufkäme, mein Mann hätte mich protegiert“.

Daß sie dennoch den Fehler beging, in zwei Talkshows aufzutreten und die Senkung der Bundesbankzinsen zu fordern, wird sie inzwischen selbst bitterlich bereut haben. Denn danach stand die Medienwelt kopf: „Jetzt redet sie schon im Fernsehen mit!“ (Bild), „Wird Deutschlands Finanzpolitik im Ehebett entschieden?“ (BZ), „Machtgelüste!“ (Süddeutsche).

In der Bunten regt sich Soziologieprofessor Alexander Schuller darüber auf, daß sich Frau Müller auch nach ihrer Heirat weiter Frau Müller nennt: „Sie ist damit nicht Teil jener Gemeinschaft, die man Ehe nennt, sondern sie nimmt nur teil an ihr... Ehe ist dann wie Busfahren. Mal bin ich drin, mal bin ich draußen... Daß einige... Frauen nicht mehr den Namen ihrer Ehemänner tragen, ist... das Programm zur Entfesselung der Ehe.“ Müllers Fernsehauftritt sei ein „Skandal“ gewesen: „Die Lafontaines haben Ehebett und Amt, Privates und Öffentliches vermengt. Das nennt man – mit Verlaub – Korruption.“

Mal bin ich drin, mal bin ich draußen beim Verkehr, Entfesselung, Ehebett, Korruption – mit Christa Müller droht offenbar nichts weniger als die Verhurung der Nation. Ute Scheub