Hunderttagefragen

Nein, aufhängen soll man sich wirklich nicht daran – an der Krawatte. Aber zum Verschaukeln eignet sie sich optimal. Mode ist ein schweres Geschäft. Sie ist viel unberechenbarer als die Politik. Doch mit einem, denkt Jürgen Trittin, liegt man in Bonn jedenfalls richtig. Und hängt sich – weil Bundesminister – zum ersten Mal eine Krawatte um. Und schon schreit die gesammelte Pressemeute: „Ah! Ankunft des einstigen Spontis im Establishment!“

Ja, stimmt das denn? Eine Antwort kommt zunächst aus dem Umweltministerium: Der Sachbearbeiter Stahl – seit elf Jahren dort – erklärt die Metamorphose seines neuen Dienstherrn ganz lapidar: „Im diplomatischen Verkehr passiert das halt.“ So einfach ist das also? Stahl weiß es selbst – schließlich baumelt seine eigene Krawatte tagein, tagaus im Dienstspind. Bei offiziellen Anlässen stülpt er sie sich über den Kopf – „weil's das Geschäft so verlangt“. Nicht anders ergeht es Trittin, weiß der Mann.

Warum liegt Jürgen Trittin trotz Krawatte falsch?

Im Ministerium kennt Stahl den Chef „sowohl als auch“: „An entspannten Tagen ohne, an wichtigen mit.“ Nie würde sich einer im Umweltministerium jedoch in die Wahl von Trittins Schlips einmischen. Ja, nicht einmal gesprochen werde darüber. „Bei unserem Mörderbetrieb ist für so was gar keine Zeit.“

Zeit genug zur Krawattendebatte hat dagegen die restliche Republik. Das Deutsche Institut für Herrenmode (DIH) in Köln beglückwünscht alle Minister der neuen Mitte pauschal zur neuen Lockerheit. Und die Fachvereinigung der Krawattenindustrie in Krefeld war nach eigenen Angaben besonders über Trittins Auftritt beim Klimagipfel in Buenos Aires hoch erfreut. Wie gut saß der leuchtendblaue Schlips zum nachtschwarzen Anzug! „Jacquardgewebt und aus Seide“ – das erkennt das Expertenauge auf den ersten Blick. „Das schmückt unseren Umweltminister gut.“

Lobbyisten sind aber selten objektiv. Im exklusiven Hause Joop ist man entsetzt. Die Couturiers aus Hamburg prophezeien Trittins neuer Zierde nämlich eine Zukunft, die alles andere als ministrabel ist: „Der Neue Mann verzichtet auf die Krawatte – auch offiziell.“ Tina Hüttl