Das Warten hat sich gelohnt

Michael Naumann läßt wählen: Nach fast einjährigem Gezerre bekommt die größte kulturelle Einrichtung Deutschlands heute wieder einen Präsidenten  ■ Aus Berlin Ralph Bollmann

Heute geht die führungslose Zeit zu Ende. Wenn nichts völlig Unvorhergesehenes geschieht, wählen die Vertreter von Bund und Ländern am Nachmittag den Generaldirektor der Deutschen Bibliothek, Klaus-Dieter Lehmann, zum neuen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Lehmann gebietet dann über Deutschlands größte Kultureinrichtung: Mit einem Etat von fast 400 Millionen Mark verwalten 2.400 Mitarbeiter das Erbe des untergegangenen Preußen in 17 Museen, zwei Staatsbibliotheken und dem Geheimen Staatsarchiv.

Auch für Michael Naumann (SPD), der die Wahl als Vorsitzender des Stiftungsrats leitet, ist es kein Tag wie jeder andere. Schließlich hat der Bundeskulturbeauftragte sein Amt nicht zuletzt dem bisherigen Stiftungspräsidenten Werner Knopp zu verdanken. Knopp hatte, kurz bevor er im Januar in den Ruhestand ging, erstmals die Idee eines „Bundeskulturministers“ in die Diskussion gebracht – in Verbindung mit einer „Nationalstiftung“ allerdings, die außer Museen und Bibliotheken auch Theater und Opernhäuser umfassen sollte.

Dieser Plan wandert jetzt wieder zu den Akten. Mit der Wahl eines neuen Präsidenten signalisiert Naumann, daß er die Stiftung als solche erhalten will. Vorerst erledigt hat sich damit auch die Idee, die Stiftung in ihre Einzelteile zu zerlegen, Museen und Bibliotheken also in eine getrennte Zukunft ziehen zu lassen. Solch ein radikaler Bruch war ohnehin wenig wahrscheinlich: Er hätte das mühsam ausgehandelte Finanzierungsabkommen zwischen Bund und Ländern gefährdet.

Doch weniger der Nimbus des Kulturbeauftragten wird Naumann im Stiftungsrat mehr Spielraum geben als dem früher zuständigen Innenminister Manfred Kanther (CDU). Wichtiger ist, daß die Bundestagswahl die parteipolitische Blockade in dem Gremium aufgehoben hat. Der Bund, der 75 Prozent des Etats trägt, gebietet zwar über 120 der 200 Stimmen im Stiftungsrat. Gegen eine Mehrheit der Länderstimmen aber, so schreibt es die Satzung vor, kann er keine Entscheidung durchsetzen.

Dieser Mechanismus war es auch, der die Wahl eines Knopp- Nachfolgers um fast ein Jahr hinauszögerte – und Lehmann zu seinem späten Sieg verhalf. Die alte Bundesregierung wollte Christoph Stölzl auf den Präsidentensessel hieven, den Direktor des Deutschen Historischen Museums, der als inoffizieller Kulturbotschafter Kohls in der Hauptstadt galt. Für Stölzl votierte von den SPD-regierten Bundesländern freilich nur das Saarland, dessen neuer Ministerpräsident ein Studienfreund des Museumsmanns ist. Die Ländermehrheit favorisierte von Anfang an Lehmann, der seine Kandidatur nach mehreren erfolglosen Wahlgängen im März zurückzog.

Kaum war die Bundestagswahl vergangen und eine Mehrheit für ihn absehbar, warf Lehmann seinen Hut wieder in den Ring. Auch für die wegen ihrer Blockadehaltung lange gescholtenen Länder hat sich das Warten gelohnt, der befürchtete Schaden für die Stiftung ist ausgeblieben. Der begeisterte Ausstellungsmacher Stölzl wäre mit dem Schwarzbrot des Verwaltens und Bewahrens womöglich gar nicht glücklich geworden – zumal in einer Stiftung, die für publikumswirksame Projekte kaum Geld zur Verfügung hat. Jetzt darf sich Lehmann an der Sanierung der maroden Museumsinsel oder an der inneren Einheit der beiden Staatsbibliotheken die Zähne ausbeißen.