Die Strategie der UCK auf dem Prüfstand

Nach den Erfahrungen mit dem bewaffneten Kampf der vergangenen Monate suchen die Kosovo-Albaner jetzt nach den Gründen des Scheiterns. Eins steht fest: Die militärische Strategie muß neu überdacht werden  ■ Von Erich Rathfelder

Sarajevo (taz) – Mit Konfusion, Ratlosigkeit, aber auch neuer Hoffnung könnte man die Stimmung umschreiben, die bei vielen Kämpfern der UCK, der „Befreiungsarmee Kosovas“, derzeit vorherrscht. Die militärische Niederlage im Sommer, die Zerstörung eines großen Teils der Lebensgrundlagen der albanischen Bevölkerung im Kosovo durch die serbischen Truppen, der Verrat einzelner Kommandeure und das Scheitern der Hoffnungen, eine direkte militärische Intervention der Nato im Land selbst zu provozieren, rütteln an den Grundlagen des eigenen Selbstverständnisses.

So kommt die durch das Abkommen Milošević–Holbrooke erzwungene relative Ruhepause für viele ganz recht. Die OSZE- Aktion, die Installierung von 2.000 internationalen Beobachtern im Kosovo, wird von den Kämpfern zwar nicht als dauerhafte Lösung für den Konflikt empfunden, niemand jedoch spricht sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt explizit gegen die OSZE-Mission aus. „Wir halten an der Forderung eines unabhängigen Staates fest“, hieß es kürzlich aus makedonischen Kreisen, die der UCK-Führung nahestehen. Im Wissen um ihren Gegensatz zu der Politik der internationalen Gemeinschaft meinen sie, eine von internationaler Seite vorgeschlagene Autonomieregelung könnte bestenfalls für eine Übergangszeit taugen. „Nach all dem, was passiert ist, können wir doch nicht mehr in einem gemeinsamen Staat mit Serbien leben.“

Die Forderung jedoch, ein Großalbanien anzustreben, wie sie von dem ehemaligen UCK-Sprecher Krasniqi im Juni dieses Jahres in dem damaligen befreiten Gebiet Malisevo aufgestellt wurde, ist von vielen UCK-Kämpfern fallengelassen worden. „Es war ein Fehler, diese Forderung aufzustellen, die Politiker und die Bevölkerung in Albanien verstehen unseren Kampf gar nicht, die sind ganz anders als wir“, erklärten Kämpfer der UCK. „Wir kämpfen doch für unsere Freiheit und nicht für irgendein Großalbanien. Das ganze Gerede um Großalbanien hat unserem Kampf nur geschadet.“

Viele Kämpfer kritisieren sogar die militärische Taktik der eigenen Führung. Die Aufgabe, die eigene Bevölkerung zu schützen, sei nicht nur wegen der Überlegenheit der serbischen Streitkräfte kaum erfüllt worden. Dies hinge auch damit zusammen, daß die meisten der Kommandeure nicht von vor Ort, sondern aus dem Ausland gekommen seien, wo sie einige Jahre im Exil zugebracht hatten.

Hinzu käme auch der Verrat eingeschleuster Spitzel in den eigenen Reihen. Nicht nur in Przren, wo Anfang September eine große UCK-Einheit von den serbischen Truppen aufgerieben worden ist, sondern auch bei dem Fall der Stadt Orahovac sei Verrat im Spiel gewesen, behaupten manche der Kämpfer. In Orahovac habe die UCK der Bevölkerung am 19. Juli sogar nahegelegt, nach dem Abzug der UCK in der Stadt zu bleiben. „Vor diesem Zeitpunkt wurde die Zivilbevölkerung aus den gefährdeten Gebieten evakuiert. In Orahovac nicht. Deshalb sind die anschließenden Massaker an Hunderten von Menschen durch die serbischen Sondertruppen möglich gewesen. Viele aufrichtige Leute mußten sterben“, erklärte ein Kämpfer aus Orahovac.

Nach eigener Anschauung ist unabhängig von den eigenen schwerwiegenden Fehlern die Lage für die Organisation äußerst schwierig gewesen. Die serbischen Streitkräfte hatten schon seit Februar ihre Stellungen in den später zerstörten Gebieten systematisch ausgebaut. Nicht nur in Drenica, wo die Ermordung der Jashari-Familie – 48 Tote, darunter 14 Kinder – im März darauf hindeutete, daß die serbischen Sondertruppen zur Taktik der Bestrafung ganzer Sippen übergegangen waren, sondern auch in dem Gebiet südlich der zweitgrößten Stadt Peja (Pec). Hier wurden nicht nur entlang der albanischen Grenze die militärischen Stellungen systematisch ausgebaut, sondern auch entlang der Straße Przren–Pec. Starke Truppenkonzentrationen wurden damals auch schon in dem Gebiet östlich von Malishevo vorgenommen. Seit April konnte das gesamte umliegende Gebiet von diesen Stellungen aus mit Artillerie kontrolliert werden.

Unbeeindruckt von den Aktivitäten der UCK – so die Ausrufung mancher Gebiete als „befreit“, Überfälle auf Polizisten und Militärtransporte – hat die jugoslawische Armee in Zusammenarbeit mit den Sonderkräften der Polizei an ihrer Linie festgehalten. Auch deshalb war sie dann ab Mai in der Lage, in die Offensive zu gehen. Während die UCK und auch die Weltpresse noch davon sprachen, die UCK kontrolliere 40 Prozent des Landes, gingen die serbischen Streitkräfte systematisch vor. Sie sicherten sich in den folgenden Monaten in jedem umkämpften Landstrich eine überwältigende militärische Überlegenheit, der gegenüber alle Aktivitäten der UCK amateurhaft wirkten.

Die Serben hätten im Gegensatz zum Glauben der albanischen Widerstandskämpfer zur damaligen Zeit das Gesetz des Handelns bestimmt, wird jetzt von vielen UCK-Leuten erkannt. „Wir konnten nur noch reagieren.“ Durch die Verminung der Grenzübergänge nach Albanien durch die serbische Armee sowie durch mangelnde Vorbereitungen und interne Querelen sei es auch nicht möglich gewesen, genug Waffen zur Verfügung zu haben, um wenigstens einen Teil der Kampfwilligen in den von den serbischen Streitkräften angegriffenen Regionen mit Waffen und Munition zu versorgen, erklären die Kämpfer. So wurde versäumt, anstatt einer Guerilla-Bewegung eine regelrechte Befreiungsarmee aufzubauen.

Dies soll jetzt nachgeholt werden. „Wir dürfen uns jetzt nicht in Aktionen verzetteln und auf Provokationen hereinfallen. Wir müssen eine Revision unserer militärischen Strategie vornehmen“, lautet die vielfach zu hörende Schlußfolgerung. Jetzt sind kosovoalbanische Offiziere der ehemaligen „Jugoslawischen Volksarmee“ und Kosovo-Albaner, die während des Krieges in der kroatischen und bosnischen Armee gekämpft haben, dabei, eine neue militärische Formation aufzubauen, die über mehr militärischen Verstand verfügt als die UCK. Viele Mitglieder der UCK, so heißt es, sind bereit, sich dieser neuen Organisation anzuschließen.