Hunderttagefragen

Er kennt sie alle. Und kennt alle ihre Vorlieben. „Kohl kam regelmäßig, einmal die Woche etwa, mit Bohl oder Fritzenkötter und natürlich immer mit seiner Sekretärin, der Frau Weber“, erinnert sich Giorgio Tartero an die Zeit, als Kohl noch Kanzler war und sein Restaurant ein Küchenkabinett im buchstäblichen Sinn.

Der Edelitaliener „Sassella“, fünfzehn behäbige Gehminuten vom Kanzleramt entfernt, ist ein must im politischen Bonn. Hier kann man Kohl im Feldsalat stochern oder einen Fisch zerlegen sehen – immer noch. Der frischgebackene Altkanzler kommt weiterhin, wenn auch seltener. Auch Schröder, Lafontaine und Fischer rücken auf den Bänken zusammen, riechen den Braten von Westerwelle oder Gysi oder umgekehrt. Manch einer wittert da Chancen für die Szene in Berlin. Nicht nur Immobilienspekulanten hätten dem Kanzlerkoch gerne einen schicken Laden in Deutschlands neuer Mitte angedreht, erzählt Giorgio. Auch Politiker boten ihm ihre guten Beziehungen an, damit er an der Spree sein Süppchen koche.

So wie die Bonner Wirte Drautzburg und Grunert, die der ungeliebten Hauptstadt Berlin schon vor über einem Jahr eine rheinische Botschaft bescherten: die „Ständige Vertretung“ am Schiffbauerdamm, in der sich Nostalgiker bei Kölsch und Himmel un Ääd an den Rhein zurückschlemmen können.

Warum bleibt Giorgio den Neu- Berlinern erhalten?

Giorgio aber will in Bonn bleiben. Vor zehn Jahren erst habe er viel ins „Sassella“ investiert und es liege ihm auch noch seine Studentenpinte „Rincón de España“ am Herzen, und überhaupt: „Wir freuen uns richtig auf neue Gesichter in Bonn.“ Was nicht heißt, daß er seine Stammgäste vergäße.

Giorgio hat eine kleine Nudelfabrik in der Nähe von Bonn. Sechs Mann strecken dort Teigwaren nach altem lombardischem Tartero-Rezept zu Spaghettini, zwirbeln sie zu Fusilli, falten sie zu Farfalle, drehen Tortellini um Steinpilz- oder Lachscreme. Und liefern die „Pasta Sassella“ nach Berlin, in die Küchen ausgewählter Restaurants und Hotels.

Und ins KaDeWe. Das zum Beispiel sind zehn schnelle U-Bahn-Minuten vom Kanzleramt aus. In Richtung Südwesten. Bonn appetito. Kerstin Willers