„Ein Regierungsstart mit Hindernissen“

■ Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß sieht keine Möglichkeit für eine höhere Nettoentlastung bei der geplanten Steuerreform. Die Mehrbelastung der Unternehmen nennt er „nur vorübergehend“

taz: Welche finanzpolitische Entscheidung der Bundesregierung schafft neue Arbeitsplätze?

Poß: Die Steuer- und Abgabenreform dieser Bundesregierung wird nach allen wissenschaftlichen Untersuchungen 150.000 bis 200.000 Arbeitsplatze schaffen, im günstigsten Fall sogar 250.000. Dies geschieht nicht über Nacht, sondern in einem mittelfristigen Zeitraum von einem bis zu vier Jahren.

Höchstens 250.000 Arbeitsplätze. Mehr war nicht drin?

Nein, denn eine Steuerreform ist weder ein Wundermittel noch eine Jobmaschine. Die alte Regierung hat aus Wahlkampfgründen eine solche Erwartungshaltung geweckt. Die Ernüchterung konnte gar nicht ausbleiben. Eine Steuerreform kann nämlich immer nur ein Beitrag von vielen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sein. Mehr hat die SPD auch im Wahlkampf nie versprochen.

Hätten Eingangs- und Spitzensteuersatz nicht stärker gesenkt werden müssen, wie es Ministerpräsident Clement fordert?

Eine weitergehende Senkung der Steuersätze ist wünschenswert, wäre aber finanziell weder vom Bund noch von den Ländern zu verkraften! Die Finanzminister der Länder haben zu den Koalitionsverhandlungen erklärt: „Eine Nettoentlastung von 15 Milliarden Mark ist das Äußerste, was geht.“

Die alte Bundesregierung plante eine Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark.

Das war völlig illusionär. Dafür hat Theo Waigel im Haushalt überhaupt keine Vorsorge getroffen, allerdings die Erhöhung der Mehrwertsteuer geplant.

Clement glaubt, die Wirtschaft wird mit zusätzlichen „mindestens 30 Milliarden“ zu hoch belastet.

Die Mehrbelastung von Teilen der Wirtschaft ist ja nur vorübergehend. Das sind übrigens die Teile der Wirtschaft, wie Großchemie und Banken, die sich in den letzten Jahren auf ganz legalem Wege der Finanzierung der Allgemeinheit entzogen haben. Wir haben zur Zeit die niedrigste Unternehmensbesteuerung seit Kriegsende. Im europäischen Vergleich liegen wir keinesfalls an der Spitze, wie immer behauptet wird, sondern im unteren Mittelfeld. Das hat übrigens Heinz Schleußer, der Finanzminister von Wolfgang Clement, wiederholt vorgetragen.

Vor einer Woche der Hickhack um die 620-Mark-Jobs, heute der Steuerkrach. Weiß die SPD nicht, was sie will?

Bei der Debatte um die 620-Mark-Jobs ist dieser Eindruck wohl entstanden. Aber in der Steuerpolitik haben wir deutlich gesagt, was wir wollen, und das setzen wir jetzt auch um. Diese Steuerreform schafft Gerechtigkeit. Jetzt werden Arbeitnehmer und Familien entlastet, die in den letzten Jahren immer nur belastet wurden.

Eigentlich wollten Sie doch die Zahl der Minijobs verringern?

Hier brauchen wir vielleicht noch längere Diskussionszeit. Aber das Ziel bleibt: Wir wollen weniger 620-Mark-Jobs.

Bundeskanzler Schröder hat erklärt, die neue Regierung habe „zu vieles zu schnell gewollt“. Ein Fehlstart?

Nein, dies einen Fehlstart zu nennen wäre sicher übertrieben. Eher ein Start mit Hindernissen, bei dem der Ehrgeiz beim Anfangstempo wirklich zu hoch war. Interview: Robin Alexander, Bonn