Tafelsilber putzt ungemein

Wenn Wünsche wahr werden: 446 unerwartete Steuermillionen entlasten Hamburgs Haushalt ein wenig. Aber nicht für lange  ■ Von Florian Marten

In der Silvesternacht 1997/98, so gestand gestern Hamburgs Finanzsenatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel (SPD), habe sie nur einen Wunsch gehabt: „1998 vor der Hamburger Landespressekonferenz eine unerwartete Steuermehreinnahme verkünden zu können.“ Gestern Schlag 13 Uhr war es im Rathaus soweit: „Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen.“

Hamburgs oberste Kassenwärterin darf sich 1998 auf insgesamt 446 Millionen Mark nicht einge-planter Steuermehreinnahmen freuen. Neben der Erbschaftssteuer sprudelten vor allem die Einkommens-, Körperschafts- und Gewerbesteuern, die in den vergangenen Jahren für ebenso überraschende Steuerausfälle gesorgt hatten. Statt Champagner und Kaviar gab es für Hamburgs Medien freilich nur dürre Worte – und auch Hamburgs BürgerInnen dürfen von ihrem Glückskind Nümann-Seidewinkel nicht viel mehr erwarten.

Die Senatorin gestand zwar: „Insgesamt finde ich das schön.“ Jede einzelne Zusatzmark aber will sie in das gigantisches Loch von fast 1,7 Milliarden Mark allein im Betriebshaushalt 1998 stecken. Einziger Vorteil: Der Senat von SPD-Bürgermeister Ortwin Runde muß weniger Grundstücke, Immobilien und sonstiges Tafelsilber verkaufen, um das Loch zu stopfen.

Den plötzlichen Geldsegen hatte die jüngste November-Sitzung des Arbeitskreises Steuerschätzung entdeckt, der für die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden Mehreinnahmen von zusammen 7,8 Milliarden Mark errechnete. Für Hamburg waren diesmal 283 Millionen Mark dabei – bereits im Mai hatten die Steuerschätzer 163 Millionen für Hamburg gefunden. Warum der hochkarätig besetzte Arbeitskreis Steuerschätzung, in dem auch Wirtschaftsforscher, Statistiker und die Bundesbank sitzen, mit so schöner Regelmäßigkeit daneben tippt, ist kein Geheimnis: Die komplizierte Mixtur aus Formeln und Abschätzungen kalkuliert Steuereinnahmen im Wirtschaftsabschwung stets zu hoch, im Aufschwung dagegen zu niedrig.

So spülte der Einheitsboom Anfang der 90er Jahre sogar 1,5 nicht einkalkulierte Milliarden in die Hamburger Stadtkasse, seit 1994 waren es dagegen jedes Jahr Hunderte von Millionen Mark weniger als ursprünglich prognostiziert. Nümann-Seidewinkel hofft denn auch auf eine „Trendwende mit wieder steigenden Einnahmen“, um ihr Ziel zu erreichen, die Milliardenlöcher im Hamburger Betriebshaushalt bis zum Jahr 2001 zu schließen.

Bleibt es tatsächlich bei diesem schönen Prognosetrend, droht nur noch von einer Seite Gefahr – der rot-grünen Bundesregierung und ihrem Steuerentlastungschaos. Ingrid Nümann-Seidewinkel hat da gar kein gutes Gefühl: „Schon mit den geplanten Steuerentlastungen ist die Grenze des Verkraftbaren erreicht. Wenn da noch was oben drauf kommt, sind wir in Hamburg wieder unter Wasser.“