Beseelt wie Seeler

■ Ein Schauspielertraum: „Eleonora“ von Sabine Bräuning im Uraufführungstheater

Am Sonntag morgen fand in der Vagantenbühne die vierte szenische Lesung des Uraufführungstheaters um Oliver Bukowski statt, der nach dem Vorbild des Londoner Royal Court Theatres in Berlin ein Theater für zeitgenössische deutschsprachige Stücke etablieren will. „Eleonora“ stand auf dem Programm, ein Stück über die Schauspielerin Eleonora Duse, geschrieben von der Schauspielerin Sabine Bräuning. Und als ich dann frierend vor dem Theater warte, wo noch geprobt wird und sich der Einlaß verzögert, denke ich an ein kleines Buch von Günther Elbin, das vor kurzem im Mannheimer Persona-Verlag erschien.

„Am Sonntag in die Matinee“ heißt es und folgt den Spuren von Moritz Seeler, der 1922 ein ähnliches Projekt wie das Uraufführungstheater wagte. Seine Junge Bühne entdeckte Schauspieler, Regisseure, Autoren und Stücke. Manches wurde hier zum ersten Mal gespielt, was heute Theatergeschichte ist. Arnolt Bronnens „Vatermord“ oder Marieluise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“. Heinz Hilpert machte hier erste Inszenierungen, Brecht arbeitete hier, lange bevor er berühmt wurde.

Und auf den Besetzungszetteln standen Namen wie Alexander Granach, Helene Weigel, Agnes Straub, Elisabeth Bergner und Heinrich George. George, der später, als Freunde Moritz Seelers Geld sammelten, um ihm die Flucht in Ausland zu ermöglichen, nichts geben wollte: „Er ist nu' mal Jud', was kann ich dafür!“ 1942 wurde Seeler ermordet.

Damals, Mitte der zwanziger Jahre, waren Seelers Sonntagsmatineen legendär in Berlin, umjubelt und umstritten. Höchstens drei Inszenierungen brachte er pro Jahr heraus, an wechselnden Spielstätten. Mitten in der Inflation stampfte er sie irgendwie aus dem Boden. Alle arbeiteten ohne Gage. Geprobt wurde nachts, weil die Schauspieler morgens an ihren regulären Theatern probierten und abends dort spielten.

Mit zwanzigminütiger Verspätung beginnt die Lesung in der Vagantenbühne dann doch. Vor einem himmelblauen Vorhang sitzen im Halbkreis neun Schauspieler an Kaffeehaustischen. Auch hier bekommt keiner eine Gage. Anna Thalbach liest die Regieanweisungen. Dann folgen wir mit Siebenmeilenstiefeln der großen italienischen Schauspielerin Eleonora Duse (gelesen von Ute Fiedler) durch zwanzig Lebensjahre. Hören, wie sich die junge Schauspielerin mit einem Realismus des Gefühls gegen die hohle Deklamationskunst ihrer Zeit durchsetzt und berühmt wird. Eine komplizierte und schwermütige Frau, die ihr Leben der Kunst unterordnet.

Das Stück ist ein Schauspielertraum, dem die Sehnsucht anzumerken ist, der Schauspielkunst könnten noch einmal Flügel wachsen. Aber das Stück will zuviel erzählen und erzählt auf diese Weise viel zu wenig: Kindergeburten, unglückliche Lieben, Tourneestationen, die Begegnung mit Sarah Bernhardt. Das kann man unmöglich alles genau erzählen. Und so wünsche ich dem Uraufführungstheater ein bißchen mehr von Moritz Seelers Durchsetzungskraft, seinem Willen zu Qualität und dem unbeirrbaren Gespür für Talent. Ein Hauch davon ist schon zu spüren, aber das ist noch nicht genug. Esther Slevogt

Am 6.12. gibt es in der Vagantenbühne um 11.15 Uhr „Pawelke“ von Nina Achminow