Pendelverhältnisse

Ausbeutung von Frauen ist Thema des heutigen Internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen. Der Berliner Verein ZAPO berät Polinnen, die in hier in Not geraten sind  ■ Von Julia Naumann

Vor vier Jahren hat Sofia Adamcek (Name geändert) kaum noch Hoffnung auf eine gesicherte Zukunft. Die 28jährige verliert ihren Job als Laborassistentin. Ihre Ehe geht in die Brüche. Kurze Zeit später sterben ihre beiden Kinder bei einem Autounfall.

Aus Verzweiflung entscheidet sie sich, ihre Heimatstadt, eine Kleinstadt im Norden Polens, zu verlassen und künftig als Pendlerin in Berlin zu arbeiten. Sofia Adamcek putzt für zwölf Mark die Stunde Wohnungen, arbeitet nachts in einem Imbiß. Schwarz – ohne Kranken- und Sozialversicherung. An den Wochenenden fährt Sofia Adamcek mit dem Zug nach Polen, um sich dort mit dem erarbeiteten Geld eine neue bescheidene Existenz aufzubauen.

Nach einigen Monaten jedoch lernt sie in Berlin einen Deutschen kennen, verliebt sich. Als sie schwanger wird, beginnt es in der Beziehung zu kriseln. Weil sie in keiner deutschen Krankenkasse gemeldet ist, leiht sie sich die Versichertenkarte einer Kollegin, um das Kind im Krankenhaus bekommen zu können. Doch nach der Geburt plagen sie schwere Gewissensnöte: Sie zeigt sich selbst an und bekommt eine Geldstrafe von 600 Mark.

Die Beziehung entwickelt sich katastrophal. Ihr Freund schlägt sie. Doch zu seinem Kind steht er, erkennt es offiziell an. Sofia Adamcek bleibt trotz der Prügel bei ihm, sie hat Angst, daß ihr das Kind wegenommen wird, weil beide keinen legalen Status in Deutschland haben. Einige Wochen später droht ihr die Ausländerbehörde mit Ausweisung. Wegen der geborgten Versichertenkarte habe sie sich strafbar gemacht.

„Dann endlich hat Frau A. bei uns angerufen und um Hilfe gebeten“, sagt Joanna Lesniak. Die gebürtige Polin arbeitet bei der Zentralen integrierten Anlaufstelle für PendlerInnen aus Osteuropa (ZAPO), einem einzigartigen ABM-Projekt in Berlin. Dort beraten und unterstützen dreizehn Mitarbeiter Saison- und Werkvertragsarbeiter und Frauen aus Osteuropa, insbesondere aus Polen. Vier der ABM-Kräfte kümmern sich insbesondere um Frauen, betreuen sie in Krisensituationen, begleiten sie bei Behördengängen, zu RechtsanwältInnen und ÄrztInnen.

So auch Sofia Adamcek. „Wenn sie bei der Geburt besser informiert gewesen wäre“, sagt ZAPO- Mitarbeiterin Hilde Hellbernd, „hätte die Krankenversicherung die Kosten übernommen und ihr Kind leichter die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen.“ Aus Unwissenheit und weil ihr Freund ihr bei den Behördengängen nicht zur Seite stand, war Sofia Adamcek weiterhin gezwungen, schwarzzuarbeiten – sie putzte für einige Mark nachts Autos auf Tankstellen.

„Solche Lebensgeschichten hören wir sehr oft“, sagt Hilde Hellbernd. Durchschnittlich fünf Beratungen machen die ZAPO-Frauen täglich. Schätzungsweise 100.000 Menschen pendeln jährlich von Polen nach Berlin, etwa die Hälfte davon sind Frauen. Bedingt durch die nahe Grenze und die einfache Einreise – ein Visum ist nicht nötig – verbringen viele von ihnen einen Teil der Woche in Berlin. Sie arbeiten als Putzfrauen, als Kellnerinnen oder auch als Prostituierte, teilen sich oft mit mehreren Frauen eine kleine Wohnung. Offiziell dürfen sie nicht arbeiten. Werden sie von der Polizei gefaßt, bekommen sie ein Wiedereinreiseverbot.

Am Wochenende kehren die ArbeiterInnen zur Familie zurück nach Polen. „Diese Pendelverhältnisse funktionieren meistens ohne große Konflikte“, sagt Joanna Lesniak. Problematisch werde es häufig erst dann, wenn die Frauen sich dauerhaft in Berlin aufhielten und Lebensgemeinschaften eingingen. „Da die Frau dann auch meistens nicht legal hier lebt, ist sie gezwungen, ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, in der sie häufig auch sexuelle Gewalt erlebt“, sagt Lesniak.

Selbst wenn die Frau hier verheiratet ist, ist ihr Aufenthaltsrecht die ersten drei Jahre an den deutschen Ehepartner gekoppelt. Der fehlende Aufenthaltsstatus verstärke so die Abhängigkeit der Frauen in der Ehe, in der Partnerschaft und der Lohnarbeit. So würden die Ehemänner öfters Scheidungen ohne das Wissen der Frauen beantragen. Ein zusätzliches Problem seien die Behörden, sagt Hellbernd. Sie würden die Frauen nur selten über ihre Rechte aufklären. Doch Hellbernd will die Pendlerinnen nicht ausschließlich als Opfer begreifen: „Die meisten haben einen langen Atem und sehr viel Energie.“ Viele kämen jedoch leider erst dann zu ZAPO, wenn sie einen Ausweisungsbescheid bekommen oder ernste gesundheitliche Probleme hätten.

Sofia Adamcek geht es mittlerweile besser: Die ZAPO-Mitarbeiterinnen organisierten ihr eine eigene Wohnung. Sie erhält nun Sozialhilfe. Auf die Legalisierung ihres Kindes wartet sie jedoch immer noch.

ZAPO ist in der Oranienstr. 34 in 10999 Berlin zu erreichen. Tel. (030) 6150909. Heute und morgen findet zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen eine Europäische Konferenz über Strategien zur Prävention und Bekämpfung des Frauenhandels in Ziel- und Herkunftsländern statt, die von der Senatsverwaltung für Frauen organisiert wird. Ort: Werkstatt der Kulturen der Welt, Wissmannstr. 32 in 12049 Berlin. Tel. (030) 6222024.