Im Einsatz, als gelte es Leben zu retten

Vom Strand aus hat Daniel im Sommer Touristen die Seevögel vor Amrum gezeigt. Jetzt schlägt er sie tot. Systematisch und mit zusammengebissenen Zähnen. Nach der Havarie der „Pallas“ bleibt den Naturschützern die Drecksarbeit  ■ Von Heike Haarhoff

Der erste Hieb sitzt. Mit einem abgebrochenen Spatenstiel drückt Daniel den Hals der Ente zu Boden. Er bückt sich. Die rechte Hand faßt nach, packt das Tier kurz unterm Kopf, hebt es hoch. Die Ente schlägt mit den Flügeln. Daniel streckt den Arm zur Seite, an dem sie hängt und sich wehrt. Dann schleudert er die Ente um ihre eigene Achse. Einmal, zweimal, dreimal. Viermal, fünfmal, sechsmal. Der Nervenstrang, der den Körper mit dem Kopf verbindet, ist durchtrennt. Die Ente platscht in den Sand. Es ist ein stummer Tod. Nur Daniel keucht ein bißchen vor Anstrengung.

Er gönnt sich keine Pause. Wieder flitzt er los. Den Spatenstiel in der Hand, die schweren Wanderstiefel an den Füßen, eine unförmige Schicht aus Pullovern, Fleece und Goretex am Körper. Über den gefrorenen Strand von Amrum, gegen den eisigen Nordwind, der seit Stunden über die Insel fegt. Als gelte es, ein Leben zu retten.

Der Erpel torkelt ein paar Schritte zur Seite, um Daniel auszuweichen. Weiter kommt er nicht. Auch der Versuch wegzufliegen scheitert. Die Steuerfedern am Rücken sind verklebt. Der schmierige Ölfilm auf ihnen verhindert die Flucht. Daniel beugt sich über den Erpel, greift nach dem Hals. „Mensch“, durchfährt es ihn, „der ist noch kein Jahr alt.“ Denn sonst hätte das Jungtier längst sein verwaschenes, grau-weiß-schwarzes Gefieder gegen ein klares, weiß- schwarzes Federkleid getauscht, wie es alle ausgewachsenen männlichen Eiderenten tragen.

Daniel dreht das zuckende Bündel etwas zur Seite, um den Bauch betrachten zu können. Das Brustbein steht hervor. „Das ist so, als wenn du bei Kindern die Rippen siehst.“ Nur: Ist das ein Grund zum Töten? Von Kindern? Absurd. Von Enten?

Daniel hat sich das Hirn zermatert über diese Frage. Nach Feierabend taucht sie auf, unvermittelt und bohrend, immer dann, wenn Daniel sich vornimmt, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Abends in der „Blauen Maus“ beispielsweise, dem Szene-Treff der Jugendlichen von Amrum. „Anfangs“, sagt der 20jährige und nippt an seinem Kirschbananensaft, „habe ich gedacht, ich kann das nicht, ich mache das nicht.“

Das war vor zwei Wochen. Daniel kehrte gerade von einem verlängerten Wochenende zur Schutzstation Wattenmeer auf Amrum zurück, wo er seinen Zivildienst macht. Und sah, wie die ersten Hochseevögel, vor allem Eider- und Trauerenten, an die Strände gespült wurden. Das Schweröl aus dem Schiffsrumpf des Frachters „Pallas“, der sechs Meilen vor der Südwestküste der Nordseeinsel auf Grund gelaufen war, hatte ihre Flügel und Federn zu schmierigen Klumpen verklebt. 8.600 Vögel sind seitdem gestorben, 20.000 weitere sind verölt und warten auf ihren Tod – oder ihre Tötung.

Diese Forderung vertreten Umweltschutzorganisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der World Wide Fund for Nature (WWF), sogar das schleswig-holsteinische Umweltministerium, und eben Daniels Dienststelle, die Schutzstation Wattenmeer. „Es ist besser, das Leiden der Tiere zu verkürzen“, sagt deren Sprecher Lothar Koch. Eine Illusion sei es zu glauben, „die Viecher könnten gereinigt und gerettet werden“.

Bereits ein einziger Ölfleck in der Größe eines Fünfmarkstücks auf dem Gefieder ist tödlich für die Eiderenten, die immerhin größer und kräftiger als gewöhnliche Dorfteich-Enten sind. „Aber wir zwingen niemanden zum Töten“, beteuert Koch, „schon gar nicht unsere Zivis.“

Daniel macht die Entscheidung mit dem Gewissen neu aus bei jedem Kontrollgang mit Spatenstiel und Plastiksäcken für die Kadaver. Er hat alles gesehen. Frierende, verstörte Tiere. Niemals würden sie sich den Gefahren an Land freiwillig aussetzen. Höchsten bei Flut schauen sie dann und wann zu einer Stippvisite vorbei. Bei Ebbe dagegen sind sie gewöhnlich weit draußen im Niedrigwasser auf der Suche nach Miesmuscheln, ihre Lieblingsnahrung.

Doch jetzt, das Wasser hat sich Hunderte Meter weit zurückgezogen, hocken die scheuen Hochseevögel, die instinktiv schon auf einen Kilometer vor Menschen fliehen, wie zittrige Alkoholiker wärme- und schutzsuchend in den Dünen. Das Öl hat ihre körpereigene Fettisolation zerfressen. Ob Daniel ihnen den Hals umdreht oder nicht, spielt keine Rolle mehr: Schon seine Distanzlosigkeit löst bei den Tieren die Todesangst aus.

„Pervers ist, daß ausgerechnet wir, die Naturschützer, die Tiere töten.“ Daniel guckt lange aufs Watt. Hierher hat er im vergangenen Sommer, als sein Zivildienst begann, Scharen von Touristen geführt. Hat ihnen zumindest mit dem Fernglas „zeigen wollen, wie schön und schützenswert diese Vögel sind“. Damals wünschte er sich, einen Austernfischer oder eine Trauerente bei ihren eleganten Tauchgängen beobachten zu können. „Und jetzt“, die Stimme bricht, „kann ich mir ständig angucken, wie die Vögel in Panik vor mir in diese Jauche abtauchen.“

Er legt einen Schritt zu. Wenige Meter entfernt in den Dünen ist jeglicher Lebenswillen besiegt. Eiderenten leiden klaglos. Gut 20 liegen in einem Radius von 30 Metern verstreut zwischen Grasbüscheln. Manche muß man antippen, um zu erkennen, ob die strampelnden Beine lebendige Bewegungen sind oder bloß die reflexartigen Zuckungen der Nerven kurz nach Eintritt des Todes.

Eine braun-graue Ente in der Mitte putzt sich wie zwanghaft. Immer wieder pickt der Schnabel hektisch in die unreine Partie im Gefieder. Dabei ist der Ölfleck kaum noch erkennbar. „Doch solange nicht alles weg ist, kann sie auch nichts fressen, das ist bei den Eiderenten so.“

Tod durch Verhungern, Unterkühlung, innere Vergiftung. Daniel kommt ihm zuvor. Erlegt alle Enten, die er kriegen kann. „Ich will sie nicht totprügeln, sondern töten, und zwar – kurz.“ Die vom Nationalparkamt Wattenmeer erlaubten Methoden sind präzise; ausgeführt werden dürfen sie nur von geschultem Personal: Entweder gezielt ins Genick schlagen oder „kringeln“, einen befremdlich verniedlichenden Terminus hat die Fachsprache gefunden für das Schleudern der Vögel um die eigene Achse.

Nach einer halben Stunde Arbeit sieht es zwischen Sandmulden und Seegras aus wie auf einem Schlachtfeld. Nur Blut ist nicht geflossen, nicht sichtbar jedenfalls. Ein gutes Dutzend Eiderenten landet allein an diesem Dünenabschnitt in den blauen Säcken, die später als Sondermüll verbrannt werden.

„Was denkst du?“ will Daniel wissen. Daß das Einschläfern einer Katze beim Tierarzt in der Großstadt 160 Mark kostet. Daß die Dosis für Eiderenten geringer sein müßte. Daß man für 20.000 sterbenskranke Vögel sicher einen Rabatt... Um die Organe der Vögel zu treffen, müßte man sie durch den Brustkorb spritzen, „das geht nicht“, sagt Daniel. Auf Sylt erschießen dieser Tage Jäger die Enten, um das Sterben so human wie möglich zu machen.

Und wenn man die verölten Vögel doch säuberte? Sie wie verdreckte Autos in Vogelwaschanlagen steckte, so wie sie ein großer Mineralölkonzern bereitgestellt hat? Tierschützer aus den Niederlanden, den USA, aus Japan, Neuseeland, Südafrika und vereinzelt auch aus Deutschland schwören auf diese Technik. Auf der Nachbarinsel Föhr haben sie inzwischen eine Wildtiernotaufnahme organisiert, wo die Vögel gewaschen und anschließend versuchsweise wieder aufgepäppelt werden.

„Qualvolle, lebensverlängernde Maßnahmen“ seien das, kritisiert Hans-Ulrich Rösner, der beim WWF Projektleiter für das Wattenmeer ist. Die Vögel erlitten währenddessen Todesängste, die fettlösenden Mittel befreiten sie nicht nur vom Öl, sondern auch von ihrer Isolationsschicht. Statistiken über den Erfolg der Waschaktionen existieren nicht. Spätestens beim Auswildern hätten die Vögel keine Chance mehr, „aber derweil haben einige Leute ihre Spielwiese gehabt“.

Vielleicht ist es der Glaube, jede von Menschen verursachte Naturkatastrophe bei geeigneter Technik in den Griff kriegen zu können. Fragwürdig hin oder her, immerhin kann er das eigene, schlechte Gewissen beruhigen helfen. Wer das zu kritisieren wagt, der bekommt die geballte Wut dieser Naturschützer ab, Zivis wie Daniel bevorzugt. Nachts, wenn sein Telefon klingelt und er als „Mörder, Mörder, Mörder“ beschimpft wird. Oder wenn sie ihm drohen, daß er schon noch sehen wird, was er davon hat. Konsequenzen beispielsweise. Keine Fotos von ihm also, bitte. Und seinen Namen in der Zeitung unter allen Umständen ändern.

„Merkwürdig“, sagt Daniel plötzlich und bückt sich. Unter einem Busch liegt ein bereits toter Erpel. Mit dem Stock dreht er ihn vorsichtig hin und her, doch von Öl keine Spur. Erst später, beim Sezieren zeigt das Öl seine Tücke. Der Erpel muß es sich komplett vom Gefieder geputzt und heruntergeschluckt haben. Die Magenwand, eigentlich kiefernmöbelgelb, ist schwarz und zerfetzt; der Mageninhalt ein einziger, glänzender schwarzer Klumpen.

Es reicht, für heute jedenfalls. Auf dem Rückweg zur Schutzstation will Daniel nur noch rasch an der Westküste kontrollieren gehen, ob mit der letzten Flut wieder neue Ölklumpen von der „Pallas“ angespült worden sind. Je näher das Meer, desto eisiger weht der Wind, gefriert Ohren, Nasen, Münder. Ein guter Grund, nicht miteinander reden zu müssen.

Was soll man auch sagen nach so einem Tag? Daß alles gut wird? Gelogen. Daß morgen die nächsten Vögel dran sind und übermorgen wieder und kein Ende in Sicht? Zu frustig. Also Schweigen.

Der Wind bläst immer stärker, treibt dicht über den gefrorenen Wattboden feinste Sandpartikel vor sich her. So muß es in der Wüste sein. Eine aufgeplatzte Muschelschale hält Zigtausende der Körnchen auf. In Sekundenschnelle ist ein kleines Häufchen entstanden.

Da gelingt Daniel trotz allem ein Grinsen. „Wir sind jetzt übrigens gerade live bei der Bildung einer Düne dabei.“