Heute Entscheidung über Pinochet

An seinem 83. Geburtstag befinden die britischen Lordrichter über die Zukunft des chilenischen Ex-Diktators Pinochet. Die Regierung in Santiago versucht, London mit einer offiziellen Petition unter Druck zu setzen  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Die Zeremonie soll nur fünf Minuten dauern. Heute um 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit wollen die fünf Lordrichter vor dem Plenum des britischen Oberhauses ihre Entscheidung bekanntgeben, ob Chiles Ex- Diktator als freier Mann mit der schon seit Tagen bereitgestellten Boeing 707 der chilenischen Regierung nach Hause fliegen darf oder ob er in London in Gewahrsam bleiben muß, bis über das Auslieferungsersuchen der spanischen Regierung entschieden ist.

Die Lordrichter entscheiden, ob das Urteil des britischen High Courts vom 28. Oktober, Augosto Pinochet genieße als ehemaliger Staatschef in jedem Falle absolute Immunität, Bestand hat oder nicht. Dabei müssen sie die Frage klären, ob Folter, Verschwindenlassen und Mord unter die durch Immunität geschützten Amtsgeschäfte eines Staatschefs fallen können. Tatsächlich ist bislang nichts darüber durchgedrungen, wie die Lords entscheiden wollen – es hieß lediglich, man strebe eine möglichst einvernehmliche Entscheidung an.

Falls die Lords Pinochet Immunität zusprechen, wird er nur Stunden später auf dem Weg nach Chile sein – ein angenehmes Geburtstagsgeschenk für den von der Legitimität seiner Taten bis heute überzeugten Ex-General, der heute seinen 83. Geburtstag feiert.

Er selbst aber ist pessimistisch: Der chilenische Unternehmer Hernán Briones, der Pinochet im Groovelands Priory Hospital besuchte, berichtete der konservativen Zeitung El Mercurio, Pinochet sei „sehr besorgt über das, was am Mittwoch geschieht“.

Wenn die Lordrichter Pinochet die Immunität aberkennen, hat der britische Innenminister Jack Straw zunächst bis zum 2. Dezember Zeit, über das Auslieferungsgesuch Spaniens zu entscheiden, kann sich dafür aber noch länger Zeit nehmen. Mit allen Berufungsverfahren kann der Prozeß sich mehrere Monate hinziehen.

In Spanien soll Pinochet wegen Völkermordes, Folter und Entführung vor Gericht gestellt werden. Mehr als 3.000 Menschen wurden während seiner Herrschaft ermordet, etliche tausend gefoltert. Spaniens Richter Baltazar Garzón hatte den Haftbefehl ausgestellt, aufgrund dessen Pinochet am 16. Oktober in London festgenommen wurde. Anders als in Deutschland kann die spanische Justiz auch wegen Verbrechen dieser Größenordnung gegen ausländische Staatsangehörige ermitteln, wenn keine eigenen, also spanischen, Bürger betroffen sind. Daher schließt das spanische Verfahren eine umfassende Liste von Betroffenen ein, zum größten Teil Chilenen.

Auch aus der Schweiz und aus Frankreich liegen Auslieferungsersuchen vor, beide Länder haben jedoch erklärt, das spanische Verfahren habe Vorrang. In Deutschland muß sich nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) von der vergangenen Woche das Landgericht Düsseldorf um Ermittlungen gegen Pinochet wegen Verschleppung und Mißhandlung dreier deutscher Staatsangehöriger in Chile 1973 kümmern. Der BGH hatte in ungewöhnlich deutlicher Weise zu verstehen gegeben, daß er große Zweifel daran hege, daß Pinochet für seine Taten tatsächlich Immunität genießen könnte – was von vielen Beobachtern als klares Signal an London interpretiert wurde.

In Chile wird die Entscheidung mit größter Spannung erwartet. Befürworter eines Verfahrens gegen Pinochet bemühen sich zu versichern, die chilenische Demokratie brauche vor einer wütenden Reaktion der Militärs, gar vor einer erneuten Machtübernahme keine Angst zu haben. Tatsächlich aber steht die chilenische Regierung unter großem Druck der extremen Rechten und des Militärs, im Falle einer für Pinochet negativen Entscheidung der Lords aktiv zu werden. Eine umfangreiche offizielle Petition der chilenischen Regierung an Großbritannien, in der gefordert wird, die Auslieferung zu verweigern, liegt bereits in London. Darin wird kein Argument ausgelassen: vom Appell an das Mitgefühl mit dem 83jährigen über eine angebliche Gefährdung des chilenischen Demokratisierungsprozesses bis zu der Drohung, wirtschaftliche Beziehungen beider Länder könnten ernsten Schaden nehmen. Ob sich die britische Regierung davon beeindrucken läßt, wird sich zeigen.