Indiens Hindu-Nationalisten droht die Quittung

■ Bei Indiens Regionalwahlen stehen sowohl Premier Vajpayee als auch seine Herausforderin Sonia Gandhi auf dem Prüfstand. Umfragen prognostizieren den Hindu-Nationalisten Verluste

Delhi (taz) – Heute werden in vier indischen Gliedstaaten die Landesparlamente neu gewählt. Obwohl nur von regionalem Interesse, zeigte der Wahlkampf in der Hauptstadtregion Delhi, im zentralen Madhya Pradesh und im Wüstenstaat Rajasthan alle Charakteristika eines nationalen Urnengangs. Die Straßen waren übersät mit Fähnchen und Postern, Rikschas mit Lautsprechern fuhren plärrend durch die Wohngebiete der Städte, und auf dem Land waren häufig Latwagen zu sehen, die Dorfbewohner zu Veranstaltungen in die Stadt karrten. Alle namhaften Politiker, Premierminister A. B. Vajpayee von der hindunationalistischen BJP ebenso wie Sonia Gandhi, die Präsidentin der Kongreß-Partei, flogen kreuz und quer durch das Land, um täglich ein halbes Dutzend Auftritte zu absolvieren.

Mit Ausnahme des nordostindischen Kleinstaats Mizoram sitzt die BJP in den anderen zur Wahl aufgerufenen Gliedstaaten entweder als Regierungspartei im Sattel – wie in Delhi und Rajasthan – oder ist wie in Madhya Pradesh die wichtigste Oppositionspartei. Die Versuchung für die anderen Parteien, die Wahlen in ein Urteil über die Regierungsfähigkeit zu verwandeln, war daher groß. Es gelang der Kongreß-Partei, die BJP auf die sprunghaft gestiegenen Nahrungsmittelpreise festzunageln. Die Knappheit von Zwiebeln, dem Grundnahrungsmittel der Armen, wurde zum Symbol für die fehlende Kompetenz der Vajpayee-Regierung.

Zudem wurde die Regierungsführung der BJP in Rajasthan und Delhi zum Maßstab für ihre Fähigkeit, das ganze Land zu regieren. Auch dieser Vergleich fiel für die Partei wenig schmeichelhaft aus. In Delhi führten Rivalitäten und die Schwächen in der städtischen Infrastruktur zu wachsender Mißstimmung. In Rajasthan waren es vor allem Skandale – Übergriffe gegen Kastenlose, Vergewaltigungen von Frauen –, die der BJP schadeten. Meinungsumfragen bestätigen diesen Abwärtstrend. Besonders in Delhi und Rajasthan versprechen sie der Kongreß-Partei absolute Mehrheiten. Bei einer Niederlage müßte die BJP auch um den Machterhalt im ganzen Land bangen.

Falls die Kongreß-Partei in Delhi und Rajasthan gewinnt, wird dies der neuen Vorsitzenden Sonia Gandhi als Verdienst angerechnet werden. Sie hat seit ihrem Amtsantritt in ihrer schweigsamen Art die Parteiführung reorganisiert. Ohne die Regionalfürsten zu brüskieren, hat sie dem weitverbreiteten Nepotismus bei der Besetzung von Parteiämtern einen Riegel vorgeschoben. Dasselbe geschah bei der Kandidatenwahl, wo in der Vergangenheit oft persönliche Bindungen entscheidend waren.

Gandhi hat auch den schwierigen Part einer Rednerin akzeptiert. Dabei muß die italienischstämmige Politikerin nicht nur das Handikap einer Fremdsprache und fehlendes rhetorisches Talent bekämpfen. Partei und Öffentlichkeit zwingen sie zudem in die Rolle der Herausforderin von Premierminister Vajpayee, der sein erdig- poetisches Hindi mit rhetorischem Gestus verbindet. Doch daß Gandhi inzwischen auch vom Wähler akzeptiert wird, zeigt sich darin, daß die oft fremdenfeindliche BJP es nicht gewagt hat, ihre Herkunft zum Wahlkampfthema zu machen. In der Hauptstadt werden bereits Wetten darüber abgeschlossen, ob die nächste Premierministerin Indiens Sonia Gandhi heißen wird. Bernard Imhasly