Amsterdamer Vertrag spaltet Frankreich

Seit gestern debattiert das Parlament über eine Verfassungsänderung zwecks späterer Ratifizierung des Vertrags. Präsident Chirac wirbt vehement für das Vorhaben, hält aber ein Referendum für unnötig  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Sechs Monate nach Deutschland debattieren Frankreichs ParlamentarierInnen seit gestern über die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags. Anders als in Bonn, wo die Zustimmung zu dem Vertrag, der juristische, polizeiliche und militärische Kompetenzen auf die Brüsseler EU-Kommission überträgt, überwältigend war (561 von 645 Bundestagsabgeordneten waren dafür), ist Frankreich völlig gespalten.

Wie 1992, als Frankreich ein Referendum über die Maastrichter Verträge veranstalte, das ganz knapp mit einem halben Prozent für deren Ratifizierung ausging, ist das Land auch in dieser Europafrage wieder gespalten. Der neogaullistische Präsident Jacques Chirac und der sozialistische Premier Lionel Jospin sind ins Lager der BefürworterInnnen gewechselt. Aber beide haben es in ihren eigenen Reihen mit schwergewichtigen Gegenstimmen zu tun.

Von den rot-rosa-grünen Regierungsparteien werden vor allem die KommunistInnen sowie die sozialistennahe Bürgerbewegung gegen den Vertrag stimmen. Beide kritisieren den Souveränitätsverlust, die KPF bemängelt außerdem, daß die institutionelle Reform der EU in Amsterdam gescheitert ist und daß Europa keine zwingende Sozialpolitik hat.

Die Grünen wollen zwar für die Verfassungsänderung stimmen, die vor der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrags nötig ist. Sie sind aber gegen den Vertrag, der ihnen nicht „weit genug“ geht. Die SozialistInnen, von denen viele bis zum Amtsantritt im Juni 1997 den Stabilitätspakt im Zentrum des Amsterdamer Vertrags als „absurdes Zugeständnis an Deutschland“ bezeichneten, haben sich damit arrangiert.

Mindestens ebenso gespalten wie die Mehrheit ging die Opposition in die Debatte, die für zwei Tage angesetzt ist. Anschließend geht die Debatte im Senat weiter, und Anfang kommenden Jahres wird der aus beiden Kammern besetzte Kongreß zusammentreten, um die Verfassungsänderung zu beraten. Vor März 1999 ist nicht mit einem Ergebnis zu rechnen.

Chirac, der in seinem Präsidentschaftswahlkampf vor drei Jahren etwaigen euroskeptischen WählerInnen noch ein Referendum über den „Übergang zum Euro“ in Aussicht gestellt hatte, will heute nichts mehr von einer derartigen Volksbefragung zu den Kompetenzübertragungen an die EU hören. Bis zuletzt versuchte er, seine eigenen ParteigängerInnen aus der konservativen Opposition auf seine Linie zu bringen. Bei einem Mittagessen mit den drei konservativen Schwergewichten Philippe Seguin (RPR), François Bayrou (UDF) und Alain Madelin (DL) einigte man sich auf drei Ergänzungsvorschläge zu dem Regierungsvorhaben. Unter allem wollen sie eine stärkere Kontrolle des Parlaments über die Brüsseler Entscheidungsfindung durchsetzen.

Die Schwergewichte der konservativen EuropagegnerInnen, Ex-Innenminister Charles Pasqua und Philippe de Villiers, erreicht Chirac nicht. Die beiden Vertreter des „Europas der Vaterländer“ kritisieren die „Angriffe auf Frankreich“. De Villiers geißelt neuerdings die „Einheitsunion, die der Einheitswährung“ folgen solle. Beide kündigten ihren Widerstand zur Verteidigung der Verfassung an und berufen sich unter anderem auf General de Gaulle, der „das Volk befragen würde“. Tatsächlich existiert bei Verfassungsänderungen wie den jetzt anstehenden die Möglichkeit eines Referendums. Abgesehen davon, daß der Amsterdamer Vertrag den meisten Franzosen noch unbekannter ist als der von Maastricht, müßte der Präsident ein solches Referendum organisieren.

Statt das Volk per Referendum zu fragen, hat Europaminister Pierre Moscovici (PS) DemoskopInnen ins Land geschickt. Das Ergegnis der von ihm beauftragten Ipsos-Studie legte er am Vortag der Parlamentsdebatte vor. Danach sind die Franzosen europhorischer denn je. 77 Prozent der Befragten nannten die Europäische Union eine „gute Sache“.