Bonn: Auslieferung Öcalans nur zurückgestellt

■ Bundesjustizministerium hält einen Prozeß gegen PKK-Chef in der Türkei für sinnvoller. Kein genereller Verzicht auf Auslieferung nach Deutschland. Erstaunen über italienische Vorwürfe

In Bonn fühlt man sich mißverstanden. Alle Welt redet von der „Feigheit“ der Deutschen, die zuerst einen Haftbefehl gegen Abdullah Öcalan ausstellen und dann darauf verzichten, ihm auch den Prozeß zu machen. „Von Verzicht kann bis jetzt keine Rede sein“, betont dagegen ein Sprecher des Bundesjustizministeriums, „wir haben die Frage bisher nur zurückgestellt.“

Tatsächlich war die Entscheidung vom letzten Freitag so begründet worden: „Die meisten der Öcalan zur Last gelegten Taten wurden in der Türkei begangen. Deshalb wäre es am günstigsten, wenn Öcalan auch dort der Prozeß gemacht würde.“ Diese Auffassung versuchte man, durch den voläufigen Verzicht auf einen Auslieferungsantrag auch der italienischen Seite nahezubringen.

Dort aber kam das Signal ganz anders an. Von „deutscher Heuchelei“ und „peinlichem Schweigen“ war in italienischen Zeitungen die Rede. Und Regierungschef D'Alema erinnerte daran, man habe den Kurdenführer schließlich „auf Grundlage eines deutschen Haftbefehls festgenommen“.

Gerade die italienische Reaktion wurde in Bonn allerdings eher überrascht aufgenommen. „Mit unserer zurückhaltenden Politik wollten wir auch auf die italienische Debatte über das Asylgesuch von Öcalan Rücksicht nehmen“, so der Sprecher des Justizministeriums zur taz.

Tatsächlich hat sich die italienische Debatte in den letzten Tagen deutlich gewandelt. Noch vor einer Woche standen im italienischen Parlament prokurdische Erklärungen und Appelle zur Lösung der Kurdenfrage im Vordergrund. Italienische Abgeordnete brüsteten sich damit, daß sie Öcalan nach Italien eingeladen hätten. Und Regierungschef D'Alema sagte hierzu: „Die Regierung hat keinen Anlaß zur Mißbilligung dieser Parlamentarier.“ Die prokurdische Haltung scheint jetzt aber in dem Maße zu schwinden, wie türkische Boykottdrohungen gegen die italienische Wirtschaft zunehmen.

Am Freitag kommt D'Alema zu einem schon länger geplanten Arbeitsbesuch nach Bonn, und natürlich wird es dann auch um den Fall Öcalan gehen. Wenn die Auslieferung Öcalans an Ankara endgültig vom Tisch ist, stellt sich dieselbe Frage für Bonn neu.

Wie sich die USA den weiteren Fortgang vorstellen, hat gestern James Rubin, Sprecher des US- Außenministeriums, deutlich gemacht: „Dieser Terrorist Öcalan muß vor Gericht gestellt werden.“ In enger Zusammenarbeit mit Deutschland, Italien und der Türkei prüfe man, wie es zu einem Prozeß gegen den PKK-Chef kommen könne. Rubin: „Terrorismus jeglicher Art ist unannehmbar, und die internationale Gemeinschaft hat die Pflicht, darauf zu achten, daß Gerechtigkeit Genüge getan wird.“ Christian Rath, Karlsruhe