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Bill Gates bekommt Konkurrenz

Durch die Übernahme von Netscape durch AOL bekommt Microsoft einen Konkurrenten in dem wachsenden und umkämpften Markt für elektronischen Handel  ■ Von Matthias Urbach

Bill Gates hat einen neuen Feind. Wenn der Onlinedienst American Online (AOL) wie geplant die Internet-Softwarefirma Netscape für 4,2 Milliarden Dollar (7,1 Milliarden Mark) übernehmen sollte, ist das mehr als nur ein neues Kapitel im Streit um das beste Programm zum Surfen im Internet, dem „Browser-Krieg“. In Wirklichkeit geht es um Internet- Nutzer, die für AOL künftige Kunden sind: Es geht um die Vorherrschaft im e-commerce, dem elektronischen Handel. Mit der Übernahme von Netscape und einer Kooperation mit der Software- und Computerschmiede Sun Microsystems könnte sich AOL komplett von Microsoft unabhängig machen und eine Marktmacht gewinnen, die Microsoft im Internet „plötzlich zum Underdog machen könnte“, wie das Internet-Magazin wired bemerkt.

Noch verhandelt AOL vor allem mit Sun über eine Beteiligung: Sun soll das Firmengeschäft von Netscape, vor allem Internet-Software für Firmen, übernehmen und vermarkten. Doch AOL-Insider geben sich zuversichtlich, daß die Übernahme zustande kommt. AOL selbst ist vor allem an Netscapes Netcenter interessiert. Dies ist eine Internet-Eingangsseite, die auf jedem Netscape-Browser als Startseite voreingestellt ist. 9 Millionen Nutzer sind dort registriert, 5 Millionen klicken die Seite täglich an. Die Werbeeinnahmen auf dieser Seite brachten ein Viertel des Netscape-Umsatzes. AOL, mit 14 Millionen Mitgliedern größter Online-Dienst, hofft, diese Nutzer für seine Internet-Geschäfte zu gewinnen und gemeinsam Werbeplätze zu vermarkten.

Außerdem kündigte AOL am Montag an, mit Sun zusammen eine Set-Top-Box entwickeln zu wollen, eine Art Decoder fürs Internet. Damit könnte man ohne PC direkt über den Fernseher online surfen und einkaufen. Gerüchten zufolge laufen Gespräche auch mit dem Computerhersteller Compaq, der die Geräte bauen soll. Mit dem Internet-Surfprogramm von Netscape wäre AOL dann völlig unabhängig von Microsoft, das ebenfalls versucht, mit Microsoft Network ein großes Internet-Angebot herzustellen und Internet und Fernseher zu vereinen.

„Kommunikation ist die Killeranwendung der Computertechnik“, schreibt wired. Microsofts Herrschaft über PC-Betriebssysteme (mit Windows) und Anwendungssoftware verliere dagegen an Bedeutung. Dann hätte AOL als weltgrößter Online-Anbieter von Waren und Informationen künftig die Nase vorn. Erst vor gut einem Jahr übernahm AOL den zweitgrößten Onlinedienst Compuserve. „Offensichtlich wurde AOL nun zum größten Wettbewerber von Microsoft“, urteilt ein US- Computeranalyst, „was vor einem Jahr niemand erwartet hat.“ Für die AOL-Kunden wird sich vermutlich wenig ändern, außer daß AOL den Internet-Browser von Microsoft (Internet Explorer) in einigen AOL-Software-Versionen durch den Netscape-Browser ersetzen könnte.

Der Microsoft-Chefanwalt versuchte die Übernahme bereits in der laufenden Anhörung zum Kartellverfahren gegen seinen Mandanten zu nutzen: „Die Übernahme entzieht der Anklage den Boden unter den Füßen“, so William Neukom. Sie zeige, daß Microsoft den Markt nicht beherrsche. Das Justizministerium sieht das anders. Die Übernahme ändere nichts daran, daß Microsoft Wettbewerbshindernisse errichtet habe.

Statt dessen könnte AOL-Chef Steve Case bald zum zweiten Haßobjekt der Computergemeinde werden. AOL werde nun den Netcenter auf seine kommerziellen Interessen ummodeln, sagt Jeff Chaster vom US-Zentrum für Medienbildung. Er befürchtet, daß das Internet zum endlosen Home-Shopping-Netz degenerieren könnte.

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