Sonnenhungrige und Saisonterroristen

■ Der Schrecken hinter der Schönheit: Die Bildbetrachtungen von Agnès Varda sowie Alain Resnais beim Abenteuer Essayfilm

rügerischer Sonnenschein: Die Cote d'Azur leuchtet in den knalligsten Farben. Lachende Frolleins winken aus schicken Wagen und tragen blaue Kleider zu grünen Hüten. Ganz Nizza aalt sich in der Sonne. Doch der Filmemacherin Agnès Varda lag nichts ferner, als in ihrem Decote de la cote von 1958 einen Werbespot für ein verlorenes Ferienparadies abzudrehen. Bereits Ende der 50er, als sich Wirtschaftswunder und Massentourismus über ganz Südeuropa ergossen, waren Sorglosigkeit und Schrecken für die Regisseurin nur marginal voneinander getrennt. Hinter der Fassade aus Sommer und Badespaß lauert der Overkill durch die Sonnenhungrigen als unheilvolles Zeichen für eine saisonale Okkupation. Agnès Vardas agiert für ihren Kurzfilm bewußt auf den Ebenen Sein und Schein: Als ausgebildete Fotografin wählte sie die Pose der „schönen Bilder“, um ihnen im bewegten Medium Film einen ambivalenten Raum zu schaffen.

Das Metropolis widmet sich jetzt in der Reihe Abenteuer Essayfilm neben Varda – und dem geistigen Vater der Nouvelle Vague, Roger Leenhardt, in einem Extraprogramm – auch Alain Resnais. In seinen gut halbstündigen Schwarzweiß-Filmen aus den 40er und 50er Jahren umreißt er die Dimensionen von Zeit, Erinnerung und Geschichtlichkeit. Das Gedächtnis der Welt von 1958 skizziert den Prozeß der Musealisierung und anschließenden (Neu-) Verteilung des Wissens einer ganzen Nation. In der Pariser Nationalbibliothek geht die Individualität des einzelnen Buches im Prozeß der Katalogisierung in der Allgemeinheit der Buchmenge unter. Ein Werk, das einmal in die architektonischen Tiefen des Buchpalastes gelangt ist, kommt nie wieder heraus. Ein Wandel, der sich erst bei der bewußten Auswahl im Lesesaal wieder umkehrt.

Als ausgebildeter Dokumentarfilmer hat sich Resnais in seinen Künstlerbiographien dem Problemfeld von Original, Substitut und den erzählerischen Ebenen von Kunst, Fotografie, Musik, Gedicht und Film gewidmet. Sein Porträt Van Gogh von 1948 arbeitet sich genau an diesem Wechselspiel ab. In Guernica hingegen geht es um die Illustrierung der Bombadierung des baskischen Kulturzentrums im April 1937. Anhand von Pablo Picassos Werk erkundet die Kamera Einzelheiten, Ausschnitte seiner Werke, läßt sie aufblitzen und zerstörerisch wirken. Hier geht es nicht um den Artisten aus kunsthistorischer Sicht, sondern um den Willen zur Zerstörung. Nach der Erfahrung der Brand- und Sprengbomben scheint die Absicht, im Häßlichen auch weiterhin die Schönheit entdecken zu wollen, kühn. Die Tragödie von Guernica ist für die Kunst, was – Adorno zufolge – Auschwitz für das Gedicht ist: Beide sind „unmöglich“ geworden.

Oliver Rohlf

Roger Leenhardt: Do, 26. November, 19 Uhr. Bildbetrachtungen von Alain Resnais & Agnès Varda: Do, 26. November, 21.15 Uhr, Metropolis. Einführungen: Thomas Tode