Die Liebe nach dem Déja vu

■ Neu im Kino: „Bent“ / Darf man von der Liebe in Dachau erzählen? Sean Mathias macht es mit sehr intensiven Szenen

Der Film beginnt mit einem Déjà-vu-Effekt, um dann ins gänzlich Andere zu wandern: Zuerst glaubt man sich in eine Low-budget-Version von „Cabaret“ versetzt. Schwule Männer genießen das Nachtleben im Berlin der frühen 30er Jahre, und statt Liza Minnelli wird immerhin Mick Jagger in Fummel geboten. Dessen großer Mund wirkt unter einer lockigen Perücke und über einem aufgedonnerten Abendkleid noch penetranter, und ein obszönes Lied singt er auch noch. Dieser Kurzauftritt ist eindeutig der Höhepunkt von Mike Jaggers bisher eher kümmerlichen Filmkarriere. Der Autor Martin Sherman, der sowohl die berühmte Bühnenvorlage wie auch das Drehbuch geschrieben hat, nahm sich für diese Anfangssequenzen eindeutig die Berlin-Geschichten von Christopher Isherwood zum Vorbild, aus denen ja auch „Cabaret“ gezimmert wurde.

Aber der Film läßt diese Reminiszenzen schnell hinter sich, denn zwei der eben noch feuchtfröhlich feiernden Homosexuellen werden schnell aus dieser dekadenten Idylle gerissen. In der Nacht des „Röhm-Putsches“ werden viele Homosexuelle in Berlin verhaftet, die in einer Verbindung zur SA stehen. Ein „One-Night-Stand“ von Max entpuppt sch als Günstling von Ernst Röhm, und das Liebespaar Rudy und Max muß schnell aus der Stadt fliehen. Ein paar Tage können sie sich versteckt halten, aber schnell werden sie von der Gestapo gestellt. Den Weg ins Konzentrationslager überlebt nur Max, und dessen Geschichte beschreibt der Film nun in radikal stilisierten Bildern.

Das KZ ist wie das Bühnenbild zu einem absurden Theaterstück ausgestattet: Hier scheinen nur Max, sein neuer Freund Horst und drei SS-Wärter zu leben. Die Arbeit der Häftlinge besteht darin, Steine von einem geometrisch genau gestapelten Haufen zu einem anderen zu schleppen, ansonsten ist das Bild fast vollständig leer, so daß die Protagonisten in ihrer Verlassenheit noch verlorener wirken. Der Regisseur Sean Mathias setzt diese minimalistischen Mittel extrem effektvoll ein. Sein Film bleibt ganz bewußt verfilmtes Theater, und doch vermeidet Mathias die meisten Fallen dieses Filmstils. Alles ist hier extrem künstlich und dennoch seltsam berührend. Selbst die in einer absurden Hochsprache gehaltenen Dialoge wirken nicht manieriert, und solche Theatertricks – wie eine hinter der Bühne (beziehungsweise aus dem Off) erschallende Sirene – sind hier dramaturgisch sehr effektiv eingesetzt. Dazu die passend minimalistische Musik von Philip Glass, der hier nur akustische Instrumente und Soundeffekte verwendet.

Martin Sherman wollte mit diesem Stück vom Leiden der Homosexuellen im Nazideutschland erzählen, besonders aber von der emotionalen Verfrostung der Opfer. Max kommt so verhärmt und geschockt ins KZ, daß er nichts anderes will als überleben und deshalb alle Gefühle in sich abtötet. Davon, wie Horst ihn aus dieser seelischen Leere hervorholt, und wie die beiden trotz der strengen Bewachung und ohne sich berühren zu dürfen, einen Weg finden, sich zu lieben und so innerlich frei zu sein, erzählt der Film in einigen auf den Kern reduzierten und gerade deshalb sehr intensiven Szenen. So darf man auch von der Liebe in Dachau erzählen, und zudem ist die Liebesgeschichte so universell, daß es völlig nebensächlich ist, daß sie von zwei Männern handelt.

Wilfried Hippen

Kino 46 / Originalfassung mit Untertiteln / Do. und Fr. 18.30 Uhr, So. – Di. 20.30 Uhr