Den Sensenmann austricksen

Nicht mehr ganz so ostlastig: Nach dreijähriger Bühnenabstinenz ist die Liedermacherin Barbara Thalheim wieder mit einem Album „In eigener Sache“ auf Tour  ■ Von Andreas Hergeth

Fast auf den Tag genau vor drei Jahren nahm sie mit einer Tournee Abschied von der Konzertbühne. Nie wieder singen. Nach 25 Jahren Musik, 13 Programmen und 11 LPs/CDs zog sich Barbara Thalheim zurück: „Ich hatte einfach nichts mehr zu sagen“, erklärt sie. „Und Lieder über Ossis gibt es schon genug.“ Trotzdem gibt es jetzt die neue CD. Dazu eine Tournee, die – „es hat sich eben so ergeben“ – durch halb Ostdeutschland führt. Die, die sie nicht mögen, werden aufstöhnen. Die, die sie lieben, werden frohlocken: So eine läßt doch das Liedermachen nicht.

So eine: 1948 in Leipzig geboren, der Vater als Kommunist im Konzentrationslager, was ihr später den Stempel „Bonzenkind“ einbrachte. SED-Mitgliedschaft, 1980 der Rausschmiß. Auch die Stasi war im Spiel. Und Naivität. Glaubte die Liedermacherin doch allen Ernstes, das „Schild und Schwert der Partei“ für ihre Zwecke, nämlich gegen engstirnige Kulturfunktionäre, einsetzen zu können. Das klappte aber nicht.

Sie wurde selbst zum beobachteten Objekt. Schnee von gestern. Abseits allen Singeklub-Einerleis war es Barbara Thalheim, die neben Kurt Demmler in den siebziger und achtziger Jahren solche Lieder sang, die eigentlich nicht ins gelackte Bild der DDR-Öffentlichkeit paßten. Über alte und einsame Frauen etwa oder beschissene Wohnungen in Prenzlauer Berg. Die Thalheim sah sich als „Anwältin aller Suchenden, Einsamen und Verunsicherten“.

Wahrscheinlich ist sie selbst so eine. Seit vielen Jahren lebt sie in Karlshorst. Hier hat sie das „Tha- Goel“, ein Kulturbüro, mit einer Freundin gegründet. Die letzten drei Jahre promotete sie Künstler aus Osteuropa. Doch irgendwann hat es sie wieder gepackt. Im Frühjahr dieses Jahres entstanden 20 neue Lieder. Freunde zogen die Texte aus der Schublade, drangen auf Veröffentlichung und sahen sich mit einer veränderten Thalheim konfrontiert: „Die Texte waren nicht mehr ostlastig.“ Sie scheint angekommen zu sein in diesem neuen Deutschland. Die Thalheim, endlich „auch für Wessis verständlich“, wie sie lachend sagt. Auch wenn einem das Lachen im Halse steckenbleiben kann: Der Entschluß, wieder zu singen, hat auch mit dem „Schock über den Tod von Gundermann, Danz und Reiser zu tun. Diese weggestorbene Nachkriegsgeneration von Liedermachern fehlt uns.“ Eine Lücke, die Barbara Thalheim füllen kann. Behaupten würde sie das aber nie. „In eigener Sache“ heißt die Platte mit den 14 neuen Songs, vielleicht ihren bislang privatesten Liedern. Die eigentlich von ganz banalen Alltagsdingen handeln. Ironisch, sarkastisch und auch schon mal leicht propagandistisch verpackt. So singt sie in „Werbung“ von Globalisierungszwängen, die den Papst dazu bringen, „statt Amen Coca-Cola“ zu sagen. Oder vom Euro: „Merk den Trick. Fit ist schick. Wenn du fit bist, hast du Glück.“ Fitsein – dazu gehört Gesundheit. Zwei Wochen bevor Barbara Thalheim mit ihren Musikern ins Studio ging, erfuhr sie von ihrer schweren Krankheit. Auch wenn sie die nicht beim Namen nennt, die CD aber den Schwestern und Ärzten der Station 14 der Charité und posthum Tamara Danz widmet, ahnt man, wogegen sie zu kämpfen hat.

Viele Songs handeln vom Sterben und dem Tod. Auch wenn die Thalheim im Covertext bittet, daß so oft zu hörende Wort „sterben“ durch „leben“ zu ersetzen, stimmen die gewohnt rhythmischen, manchmal sperrigen Lieder melancholisch, hinterlassen ein seltsam trauriges Gefühl. Ihre Musiker sind dabei durch die Bank klasse: Akkordeonvirtuose Jean Pacalet, Jürgen Ehle von Pankow, Göran Schade (Percussion) und Rockbassist Marcus Schloussen. Der Clou: ein 25 Instrumente zählendes Akkordeonorchester. Das will die Thalheim als „Attacke auf das deutsche Volkslied“ verstanden wissen.

Die jetzt 50jährige teilt noch mal aus: „New Labour, New Schröder servieren uns jetzt als Köder in ihrer Bibel, nun sei mal schön flexibel.“ Was aber, wenn Flexibelsein allein nicht mehr reicht? Da bleibt sie Utopistin und würde am liebsten eine „menschliche Ökonomie“ mit Arbeit, die zum Menschen paßt, herbeisingen.

Das geht aber nicht, also erzählt sie von ihren Macken und Phantasien, von ihren Freu(n)den und Leiden und Lieben, dem Sterben ihres Vaters. Singt wunderschöne Lieder vom Sensenmann. „Um auszutricksen unseren Tod“ ist voller Lebenskraft und offeriert nette Arten, von dieser Welt zu gehen. Sterben, wie man einschläft, oder vor Glück, für einen Blick in die Meerestiefen, mit fünf Gramm Koks im Blut, „ein Lied machen, sterbend niedersinken“.

Barbara Thalheim: „In eigener Sache“ (BMG/Amiga). Konzert ab 21 Uhr, Tränenpalast