■ Schütteln und Backen
: Alternative Reiserouten durch Amerikana: Der wunderbare "Back-In-Your-Face Guide to Pick-Up Basketball" lehrt, daß Heimat immer da ist, wo Freiplatz und Wurlitzer sind

Vor Jahren besuchte ich meine Schwester, die damals in Madison, Wisconsin, wohnte. Madison ist eines dieser amerikanischen Freiburgs: nette fahrradfahrende Menschen, viele Kneipen, gute Musik (Butch Vig, der eine Nirvana-Platte produzierte, hat hier sein Studio). Und ich hatte zumindest als Außenstehender das Gefühl, daß Schwarz und Weiß miteinander können. Auf jeden Fall wurde dieser Eindruck auf dem Basketball-Freiplatz bestätigt, ein Ort ganz in der Nähe der Wohnung meiner Schwester, den ich nicht ganz zufällig entdeckte. Ich war nämlich als selbsternannter Kulturforscher in Sachen Streetball unterwegs durch die Staaten und wollte meine empirischen Studien, nach einem ersten Feldtest in Brooklyn, in Madison fortsetzen. Ich war, bin weiß und konnte sogar rückwärts dunken, ein entscheidendes Argument, um bei schwülwarmer Luft von Weiß wie Schwarz auf dem Platz Anerkennung zu ernten.

Meine Schwester war schwer erstaunt, als ich nach ein paar Tagen recht viele Joes und Travises in der Kneipe um die Ecke per Handschlag begrüßen konnte und dies zum Anlaß nahm, euphorisch über die integrative Funktion des Freiplatzes zu berichten. Die implizierte Außenseiterromantik eines Opfers der deutschen Bolzplatzgesellschaft – wir sind im Jahr 1990 – stieß aber bei meiner überakademisierten Schwester auf halbtaube Ohren. Hellhöriger wurde sie erst dann wieder, als ich auf dem Weg zur vollgeladenen Wurlitzer-Jukebox, meinem zweiten populär-kulturellen Studienobjekt, anbot, einen neuen Pitcher Bier zu organisieren.

Von dort brachte ich dann den Aufbauspieler meiner Mannschaft mit, einen sympathischen Mitdreißiger, den ich schon am Abend zuvor in einem Musikclub getroffen hatte. Dort hatten wir über Charles Barkley und Larry Bird diskutiert. Er, von Aussehen und Hautfarbe eher Larry Bird zuzuordnen, hatte sich als hysterischer Barkley-Fan erwiesen, konnte aber seine Leidenschaft einen Abend später nicht meiner Schwester verständlich machen. Die wurde wiederum hellhöriger, als die örtliche Universität ins Spiel gebracht wurde, an der der Basketball-Junkie als Mathematik-Dozent arbeitete. Bevor ich mich nun erneut anbieten wollte, mehrere Pitcher Bier zu besorgen, mußte sich der dozierende All-Around-Nice-Guy, dessen Namen ich leider vergessen habe, entschuldigen, da er mit seiner Band Poopshovel im Nachbarclub aufzutreten hatte. Meine Schwester ging nach Hause, ich ging mit ihm mit.

Eine Woche später, nach vielen Spielen und Wurlitzern, mußte ich mich dann aber doch von meiner Schwester und meinen neuen Freunden verabschieden. Das Land ist groß, viele Freiplätze und Jukeboxes pflastern seine Straßen. Aber erst in Portland, Oregon, wurde ich für meine Studien auch sekundär fündig. In einer Buchhandlung wurde zumindest ein Teilaspekt meiner Arbeit bibliographisch abgesichert. Zwei kluge amerikanische Wissenschaftler haben auf dem Feld der Freiplatzforschung Pionierarbeit geleistet und ein Buch zusammengestellt, in dem die besten Plätze des Landes, nach Bundesstaaten sortiert, vorgestellt werden.

Der „Back-In-Your-Face Guide to Pick-Up Basketball“, so der Name der Publikation, klassifiziert seine Objekte durch diverse Piktogramme und Kurzprosa. Plausibel werden Boxhandschuh, Ghettoblaster, Salz und Pfeffer usw. (siehe Diagramm) als bewertende Kriterien eingeführt, um dem Amerikareisenden die Wahl des Freiplatzes zu erleichtern.

Mein Freiplatz in Madison findet keine Erwähnung, was durch die Größe des Themas und des Landes entschuldbar ist. Das gibt mir aber jetzt die Möglichkeit zu sagen, daß der Interessierte keinen Boxhandschuh, der für rauhe Sitten steht, zu erwarten hat, aber Salz und Pfeffer, Weiß und Schwarz, die zusammenspielen. Ohne die hilfreichen Symbole, eingeführt von den Autoren Wielgus und Wolff, wäre es mir auch nicht auf die Schnelle möglich, das spielerische Niveau in Madison durch die Wahl des alten Converse-Turnschuhs (ziemlicher Durchschnitt) zu bestimmen oder das Fehlen von Musik durch die Abwesenheit des Zeichens der Beatbox zu erkennen.

Die Entdeckung dieser bahnbrechenden Publikation auf dem Feld der Freiplatzforschung war ein Jahr später Teil einer Diskussion, die ich in Köln mit meinem aufbauspielenden Freund aus Madison führte. Der trat dort mit seiner Band auf und überreichte mir nach dem Konzert ein riesengroßes Barkley-Poster, das ich damals gerührt annahm.

Knappe zehn Jahre später ist meine Schwester nach Hartford, Connecticut, gezogen, und die Band Poopshovel ist Indie-Geschichte. Aber knappe zehn Jahre später sind auch weiße Jungs aus Potsdam in der Lage, zu schütteln und zu backen (shake 'n bake, amerikanischer Freiplatzslang für Körpertäuschung und Raumgewinn), was meine Forschungen nun nach Hause gebracht hat. Denn Heimat ist da, wo Freiplatz und Wurlitzer sind.