Bücher für Randgruppen: Ewig siedet der Kochtopf
■ Wiederbelebung jetzt: Suppen als Kategorie und Kontemplation
„Nein, meine Suppe ess' ich nicht!“ ruft der Suppenkasper in Heinrich Hoffmanns Klassiker „Der Struwwelpeter“. Er ruft es so lange, bis er bindfadendünn zusammensackt und verstirbt. „Es ist noch Suppe da!“ tönt es dagegen fröhlich aus dem Suppenbuch von Christian Teubner, welches die 100 besten Rezepte der Welt verspricht. Tatsächlich sind Suppen uraltes Kulturgut. Schon die Steinzeitmenschen kochten sie zwischen glühenden Steinen. Über Jahrhunderte beliebt war vor allem die warme Morgensuppe aus Getreideschrot und der „pot au feu“, der ewig siedende Kochtopf, der je nach Jahreszeit mit unterschiedlichen frischen Zutaten gefüllt war. Seit Ludwig XIV. gilt diese Suppe nicht nur als Sattmacher für die ärmere Bevölkerung, sondern auch als delikate Vorspeise. Was aber sind die besten Rezepte? Immerhin gibt es weltweit über 1.430 verschiedene Suppen, die sicher alle ihre Qualität haben, sofern der Koch es zuläßt. Es wäre also möglich, vier Jahre lang jeden Tag eine andere zu verzehren.
Das subjektive Suppenbuch von Christian Teubner ist geschmackvoll aufgemacht, mit leckeren Fotos und raffiniertem Layout versehen. Es präsentiert einerseits bekannte traditionelle Suppen aus aller Welt und andererseits auch einige bizarre oder moderne Kreationen aus der internationalen Neuen Küche. Grundsätzliches, wie das Anrichten von Fleisch-, Gemüse- oder Fischfonds, wird anschaulich bebildert und erklärt – gleichwohl die Vorarbeit zur Herstellung einer kalten spanischen Gemüsesuppe, das vorsichtige Pflücken der Oliven mit Hilfe kleiner Rechen. Manchmal gerät die Illustration aus den Fugen, wenn zum französischen Fleischeintopf mit Safran ein Hühnerstall gezeigt wird, in dem sich dicht an dicht Hunderte kecker Gockeln drängen.
Der deutsche Beitrag, eine kalte Holundersuppe, ist noch nicht ganz fertig geworden: Im Teller liegen nur die abgezupften Beeren mit spirrigen Doldenzweigen und einer Gabel. Das ist nicht besonders appetitanregend, da Holunderbeeren in rohem Zustand ungenießbar sind und ihr Genuß bekanntlich starkes Erbrechen zur Folge hat. Der Einfluß der ungarischen auf die rumänische Küche wird mit einer bunten Paprikasuppe (Rumänien) dokumentiert. Optisch großartig dagegen wirkt die französische Paprikasuppe, die leicht in Gelb, Rot oder Grün zuzubereiten ist. Mit diversen Suppenklecksen lassen sich überdies psychedelische Muster erzeugen, wenn man sie mit der Gabel verzieht.
Meinem Geschmack abträglich ist die Propagierung der hierzulande nicht populären chinesischen Haifischflossensuppe. Bekanntlich werden dem Hai oft nur die teuren Flossen abgeschnitten und das noch lebende Tier ins Meer gekippt, wo es jämmerlich zugrunde geht. Vielleicht wäre es da origineller und angebrachter gewesen, das Rezept der „Moossuppe“ zu veröffentlichen, die in Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ bei einer 19köpfigen isländischen Familie gereicht wird.
Die traditionelle Fjallagrasaeggjamjólk, die Flechtenmilchsuppe, läßt sich einfach aus Milch, Ei, Zucker und Isländisch Moos zubereiten: Rezept schicke ich Interessierten gern gegen frankierten Rückumschlag zu. Selbst der freundliche Herr Rademacher vom Deutschen Suppen-Institut in Bonn kannte diese uralte Milchsuppe noch nicht und zeigte sich sehr daran interessiert: „Wir möchten die Suppe als Kategorie beleben.“ Die Zunahme des sogenannten Walking Food, also Pizza, Hot Dog und belegte Brötchen, habe die Suppe ja etwas zurückgedrängt: „Das ist schade, denn die Suppe ist Ausdruck des Etwas- zur-Ruhe-Kommens, in ihr ist Kontemplation.“ Wolfgang Müller
Christian Teubner: „Suppen und Eintöpfe“. Gräfe und Unzer, 49,90
Mehr Infos: Deutsches Suppen- Institut, Tel.: 0228/21 01 80.
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