Hunderttagefragen

■ Warum sieht Schröder in seinem Bildband alt aus?

Es gibt Fotografien, die man immer wieder gerne ansieht. Entweder weil sie zeitlos oder einfach nur wunderschön sind. Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal im Warschauer Ghetto ist so ein Beispiel für Zeitlosigkeit: Die Szene birgt ein Pathos, dessen Widerschein der Menschheit ein Jahrhundertbild beschert. Schröder bei TeppichwerkeVorwerk in Hameln, Schröder beim Fischverarbeiter „Royal Greenland“ in Wilhelmshaven, nochmals Schröder bei TeppichwerkeVorwerk in Hameln oder Schröder in der Tischlerei Hinck in Otterndorf hat nichts davon.

Selbst dem Inszenierungskünstler Schröder gelingt vor dem Fließband mit gepreßten Fischfiletstückchen bei „Royal Greenland“ keine Erhabenheit. Abgesehen davon: Schön ist das nicht.

Trotzdem hat der Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf mit den Bildern einen 80seitigen Fotoband gefüllt, durchgehend in Farbe, zum Preis von DM 29,80.

Warum sieht Schröder in seinem Bildband alt aus?

In der Fotoreportage von Thomas Sandberg sieht Schröder folglich nur alt aus. Die ein oder andere neue Falte, die er sich als Bundeskanzler zuzog, ist dabei nicht sein Hauptproblem. Acht Wochen nach der Wahl interessiert Schröder, der Kandidat, niemanden mehr: nicht ein Schröder, der am Neujahrsempfang in Hannover voller Zuversicht vom Podium grinst. Nicht ein Schröder, der am Tag seiner Wahl zum niedersächsischen Ministerpräsident mit hochgerissenen Armen die Schweißflecken unter den Achseln freilegt. Zwischen Schröder und Bundeskanzler Schröder liegt unendlich viel Zeit.

5.000 Bildbände, frisch gedruckt, sind deshalb bereits ein Fall für den Ramschtisch. Fotograf Sandberg bangte wohl schon vorab um den Bestand seines Bildmonuments. Er beklagte sich bei der Buchpräsentation, daß er Schröder nur offiziell vor die Linse bekam: Schröder mit Katze war seine große Vision – weil's zeitlos und schön ist. Schröder hinderte nur ein ganz simpler Grund: Seine Tochter gab die Katze, die ein Kater ist, nicht her.

Schade, Schröder mit Kater – ein Jahrhundertfoto geht verloren. Tina Hüttl