Blühende Lethargie

■ Aufwachen! „Erklärt Pereira“ jetzt auch in der Kantine vom Schauspielhaus

Birnbaumblüte im eiskalten November. Seit einer Woche erobert Pereira – was auf Portugiesisch Birnbaum bedeutet – die Kinoleinwand, nun gab er auch, wie es sich für einen Kulturjournalisten gehört, auf der Theaterbühne seine Premiere. Gar nicht ungeschickt vom Schauspielhaus, die deutschsprachige Erstaufführung der Theaterfassung von Antonio Tabucchis Roman Erklärt Pereira so zu terminieren. Mutig allerdings auch, denn der durch die fast schon congeniale Verfilmung verwöhnte Zuschauer mißt die Aufführung unwillkürlich daran.

So irritiert anfangs die Griesgrämigkeit und die stellenweise aufblitzende Patzigkeit Peter Brombachers als Dr. Pereira, Kulturredakteur der Zeitung Lisboa. Er spielt die Einsamkeit des fettleibigen, zuckersüchtigen Witwers gekränkt und verbittert, läßt sich mit großer Geste schlaff auf den Stuhl plumsen und schlürft schmatzend Limonade, während sein filmischer Gegenpart Marcello Mastroianni einen zurückhaltenden, äußerst kultivierten älteren Herrn gibt.

Doch auch Brombacher ist eine überaus passende Besetzung. Mit der bis zur Brust hochgezogen Hose über stattlichem Bäuchlein und mit seinem abwesendem Starren ins Leere erscheint er wie ein großes hilfloses Kind, das aufgerüttelt werden will. Aufgerüttelt aus seiner Lethargie, auch seiner politischen. Denn vor den Unmenschlichkeiten der Salazar-Diktatur verschließt er geflissentlich die Augen – bis er auf zwei junge subversive Leute trifft, die seinen Lebenswillen neu wecken und ihn zu politischer Aktivität treiben.

Pereiras Wandel fängt Barbara Bürk in ihrer Inszenierung gelungen ein. Zu Beginn ist Pereira passiv, die Geschichte wird fast allein vom Erzähler getragen (vielbeschäftigt und vielseitig: René Dumont), der sogar oft die Handlungen Pereiras ausführt. Am Ende handelt Pereira und übernimmt auch den Erzählerpart selbst. Unverständlich bleibt, warum nicht er zum Schluß den brisanten Artikel über die Ermordung Rossis durch die Geheimpolizei vorträgt, den er an der Zensur vorbei in die Lisboa geschmuggelt hat, sondern Marta. Umso trauriger, da Bettina Engelhardt in dieser Rolle ohnehin nicht überzeugt.

Um den Höhepunkt der Pereira-Blüte zu erreichen, bleibt einem nun nur noch, den ergreifend-wunderbaren Roman Tabucchis (nochmal) zur Hand zu nehmen.

Oliver Eckers