Achterbahn gen Himmel

■ Zur Weihnachtszeit: Die Kunsthalle zeigt scheue Kinder des Münchener Beinahe-Impressionisten Fritz von Uhde und Maria und Josef auf Herbergssuche. Der Versuch einer Wiederentdeckung

„Anarchistenfraß, schnaubte der Preußenprinz, nachmals Kaiser Wilhelm II.“ Können Prinzen schnauben? Nein, so griffig-pfiffig-süffig beginnt natüüürlich niemals eine taz-Ausstellungsrezension; sehr wohl aber eine des verehrten Spiegels, und zwar eine über Bremens Fritz von Uhde-Ausstellung. Unterstützt von einer Marketing-Agentur bemüht sich Kunsthallenchef Herzogenrath höchst erfolgreich, den heute nur mehr mittelbekannten Münchener Leibl-Liebermann-Zeitgenossen Uhde zu überregionaler Öffentlichkeit zu verhelfen. Hilfreich dabei ist eine knuffige Schublade. Im Fall Uhde quietscht sie etwa so: Einst verfemt – heute zu Unrecht vergessen – eben „Anarchistenfraß“. Die maue finanzielle Ausstattung der Kunsthalle zwingt zum Klappern; vor allem dann, wenn kein großer Künstlernamen raunt, um Sponsorengelder anzulocken. Und so fügt sich alles zu schönster Logik: Denn diese wunderbare, unbedingt empfehlenswerte Ausstellung muß sich nicht nur durchsetzen in einem immer fragwürdigeren Kunstbetrieb; sie reflektiert das Getriebe gleichzeitig. Wie auf einer Achterbahn schleuderte es Uhde nach oben und nach unten. Uhde schwang gerade mal lausige 20 Jahre den Pinsel, und schon bald besaß „jedes anständige moderne Kunstmuseum ein Werk“. Und es war Prinzregent Luipold höchstselbst, der schon 1890 ein Schlüsselwerk für die Neue Pinakothek erwarb. In Vergessenheit geriet Uhde nicht. Eher schlimmer noch. Er fiel so unter Mediokritätsverdacht, daß man ihn 90 Jahre weder mit einer Einzelausstellung noch mit einer Buchpublikation bedachte. „Sein entscheidender Malus waren die religösen Bilder“, meint die Kuratorin Dorothee Hansen. Ausgerechnet also jene Bilder, die von Kirchen und Kaisern einst angefeindet waren wegen ihres allzu irdischen Charmes (“Anarchistenfraß“), galten später als kitschig und konservativ. Jetzt also geht es wieder nach oben.

Fritz von Uhde (1848-1911) war Quereinsteiger. Nach unentschiedenem Pendeln zwischen Kunst und Militär wollte ihn keine Kunsthochschule mehr. So fing er erst im Alter von 31 Jahren an, sich in Paris halb autodidaktisch im Atelier Mihaly Munkacsys Maltechnik anzueignen. Briefe an die Ehefrau zeugen weniger von analytisch-politisch-intellektuellem Geist, als von Heizproblemen und den Schwierigkeiten der Wohnungs-und Rahmenbeschaffung. Kein Wunder, daß dieser Niedergestauchte nicht durch innovative Maltechnik glänzte. 40 Jahre nach der Schule von Barbizon wagte sich Uhde, angeregt durch Freund Liebermann, in die lichteren Farbwelten der Freiluftmalerei; 30 Jahre nach Adolf Menzel ließ er Lichtquanten flackern, statt Helligkeitswellen fließen; 30 Jahre nach Courbet widmete auch Uhde sich dem einfachen Volk. Ganze Kleiderberge werden auf seinen Bildern gestickt und gestrickt. Man schält Rüben und liest in der Bibel. Edvard Munchs existenzialistischen Schrei mochte Uhde nicht.

Nicht die Technik irritierte also. Was die Kirche aufbrachte, war die Art, wie Uhde die Bibel ganz nah an die Gegenwart heranzog. Wie jede anständige Christmette stellt Uhdes bäuerliche Maria, die mit ihrem Josef durchs frostige Dachauer Moos zieht, die Frage: Und wie würdet ihr hier und heute das heilige Paar bewirten? Laßt ihr nicht auch Obdachlose in der Kälte versauern? So etwas schimpfte man damals „sozialistisch“. Doch mit der Zeit suchte Uhde den Kompromiß, ein Mittelding zwischen Bauern-und-Bonzen-Jesus. Und so spazierte Uhdes unscheinbarer Wie-Du-und-ich-Christus in armen Bauernstuben bald auf X-Tausenden von Kommunionsbildchen durch arme Bauernstuben. Ein Revoluzzer, wie der Spiegel-Text suggeriert, war Uhde also nicht; eher ganz stinknormal umstritten wie jeder anständige Künstler.

Wie Adolf Menzel verfuhr Uhde zweigleisig, erklärt Kuratorin Hansen. Und schon Bremens Meistersammler Gustav Pauli meinte: „Die besten Bilder sind die nebenbei Entstandenen“, also nicht die Bibelbilder für die Münchener Sezessionsausstellungen, sondern seine halbimpressionistischen Moment-impressionen von Kindern. Der große deutsche Fotograf August Sander zeigte seine „Menschen des 20. Jahrhunderts“ immer als Sich-Darstellende. Bewußt und frontal gucken sie in die Kamera; denn die Unbewußtheit des Schnappschusses gibt es natürlich nicht. Umso liebenswerter, wie ausgerechnet die Malerei nach dieser Fiktion suchte. Schräg von hinten lauert Uhde seinen Figuren des öfteren auf, als wolle er nur ja nicht stören. Doch der blondlockige Knirps im Bild „Zwei Mädchen“ hat ihn entdeckt und senkt halb scheu, halb gelangweilt den Blick. Dieser weißgekleidete Unschuldsengel mit der Inv.-Nr. 1344 ging in 2/1995 in den Besitz der Bremer Kunsthalle über. Dieser Blondschopf war Auslöser des mutigen Versuchs des Museums, die Kunstgeschichte ein klein bißchen umzuschreiben. Eine Wiederentdeckung hätte Uhde in der Tat verdient; nicht zuletzt durch seine Engel. Kurz vor seinem Tod versucht er noch ein letztes Mal, das Heilige in den schnöden Alltag hineinzuziehen. Seinen erwachsen gewordenen Töchtern dichtet er Engelsflügel an die Schultern. Doch im Gegensatz zu seinem bäuerlichen Jesus setzt er hier impressionistische Technik ein. Sie ist es, die Uhde ein echtes Wunder ermöglicht: Ein Engel hebt dezent sein langes Kleid. Und siehe da, im Pinselgewimmel lösen sich die Füße auf. Die eigene Tochter schwebt. Nun können wir passend zur Weihnachtszeit über das Verhältnis von Heiligem und Irdischem nachdenken. Vielleicht ist es doch nicht nur eine zeitgeistige Gier unseres Kunstbetriebs nach neuem Alten; vielleicht ist es späte kunsthistorische Gerechtigkeit.

Barbara Kern

Bis 28.2.1999, Eröffnung: 29.11., 11.30 h. Im Januar starten die kirchlichen Bildungswerke eine Vortragsreihe zum Thema Kunst-Glaube-Sozialismus